»Das Gestische«
Thomas Bayrle, Andy Boot, Christian Falsnaes, Roy Lichtenstein, Klaus Mosettig, Laura Owens, Markus Prachensky, Roman Signer
21er Raum im 21er Haus, Wien
8. September — 20. November 2016
Malerei ist das Auftragen von Farbe auf eine Fläche. Pinselstriche sind die Elemente, aus denen sich ein Bild ergibt. Und um diese Einzelteile, aus denen sich über den Prozess des Malens etwas zusammensetzt, dreht sich diese Ausstellung.
Ausgehend von einer aktuellen Schenkung an das Belvedere – der Malerei Rouges différents sur noir – Liechtenstein von Markus Prachensky – werden Aspekte rund um den Duktus und das Wesen des Gestischen diskutiert. Prachensky hat das Bild 1956/57 geschaffen. Es ist nach der Liechtensteinstraße benannt, wo es in einem gemeinsam mit Wolfgang Hollegha genutzten Atelier entstanden ist (im Übrigen war das auch der Ort, an dem die beiden 1956 gemeinsam mit Josef Mikl und Arnulf Rainer die Gründung der Künstlergruppe „Galerie St. Stephan“ beschlossen). Das Gemälde stammt aus einer ersten Serie von Bildern, in der Prachensky mit roter Farbe auf schwarzem Grund malte – wobei die Farbe Rot zu einem wiederkehrenden Element und zu so etwas wie einem Charakteristikum in folgenden Arbeiten wurde. Das Werk Prachenskys ist ganz dem Informel verpflichtet. Das Informel, das sich Ende der 1940er-Jahre von Paris ausgehend seinen Weg nach Wien bahnte, entwickelte sich als Reaktion auf die geometrische Abstraktion. Mit ihr teilte es eine Ablehnung klassischer Kompositionskonzepte, aber forderte im Gegensatz Formlosigkeit und Spontaneität. So geht es Prachensky vordergründig um das Nachvollziehen eines gestischen Impulses, um die auf die Leinwand übertragene Energie.
Was Prachensky in seinem Bild hervorhebt, ist also das prozessuale Moment in der Bildproduktion –mit all seinen Implikationen des unmittelbaren persönlichen Ausdrucks und Spekulationen rund um diese Spuren des Unbewussten. Diese Gesten sind auf dem monochromen Hintergrund klar nachvollziehbar und treten zu diesem in einen starken Kontrast. Sie werden durch ihre Isolation auch selbst zu einem Zeichen, zu einem wiedererkennbaren Symbol der Geste. Ebendieses Zeichen greift Roy Lichtenstein in der Serie der Brushstrokes auf, die zwischen 1965 und 1968 entstanden ist. Darin setzt Lichtenstein einzelne und einander überlagernde Pinselstriche im für ihn typischen Comic-Stil um – ironischerweise mit Öl auf Leinwand, während er auf den Abstrakten Expressionismus Bezug nehmend das spontane Moment gewissermaßen karikiert. Im Fall von Little Big Painting Reproduction wurde die Edition auch noch in eine Chromografie übersetzt. Die industrielle Vervielfältigung führt die Einzigartigkeit von Malerei und persönlichem Ausdruck zusätzlich ad absurdum.
Thomas Bayrle arbeitet mit Reproduktionen und Wiederholungen von Formen, die sich häufig – ähnlich der Pop Art – auf Objekte aus der Konsumkultur beziehen und durchaus gesellschaftskritisch gelesen werden können. Einzelne Bildelemente werden bei ihm durch mechanische und digitale Manipulation verzerrt. Aus ihnen ergeben sich systematische Strukturen, die oft ihre Bestandteile widerspiegeln und so auf die dahinterliegende Logik des Bildermachens verweisen. Für Variationen eines Pinselstrichs hat Bayrle 1989 den Pinselstrich als Ausgangsmotiv genommen. Er hat ihn in unterschiedlichen Verformungen zu einer die Bildfläche füllenden Collage arrangiert, die als Metamalerei die Authentizität des Ausdrucks durch dessen mechanische Wiederholung infrage stellt.
Klaus Mosettig übersetzt seit 2007 Arbeiten anderer Künstler in Zeichnungen. Dafür projiziert er die Werke auf Papier und zeichnet sie in monatelanger Kleinarbeit in unterschiedlichen Grautönen nach, wie man sie aus Druckverfahren kennt. Trotz des aufwendigen Prozesses per Hand hinterlässt Mosettig keine ihm zuordenbare Handschrift. Und dennoch entwickeln seine Arbeiten eine künstlerische Autonomie vom Original. Das hängt auch mit der Zeit zusammen, die er in seine Werke investiert und die bei genauer Betrachtung nachvollziehbar wird. Die Vorlage für Informel 2 war eine Kinderzeichnung. In Analogie zur im Werktitel genannten Kunstrichtung handelt es sich bei der Kinderzeichnung um den Versuch eines unmittelbaren Ausdrucks, um das experimentelle Finden einer persönlichen Bildsprache. Die Rezeption dieser kleinen Geste verändert Mosettig, indem er sie sich aneignet, mit dem Bleistift kopiert und vergrößert.
Roman Signer ist für seine Aktionen bekannt, versteht sich aber als Bildhauer, der Faktoren wie Zeitlichkeit, Beschleunigung und transformative Prozesse auf seine Arbeiten einwirken lässt. Feuerwerkskörper etwa sind ein wiederkehrendes Element in seinem Œuvre, so auch in dem Video Punkt von 2006. Signer nimmt darin vor einer auf einer Wiese aufgestellten Staffelei Platz, taucht einen Pinsel in Farbe und hält ihn vor die Leinwand. Hinter ihm explodiert kurz darauf eine Box – der Künstler erschrickt und setzt dadurch einen Punkt auf die Malfläche. Signers Ergebnis einer gezielten Schreckreaktion entspricht fast buchstäblich der auf die Leinwand übertragenen Energie, wie sie im Informel zur Geltung kommt. Nur dass Signer den Prozess des gestischen Malens überzeichnet, um zu einem für ihn authentischen Ausdruck zu finden.
Andy Boot hat sich schon in früheren Arbeiten mit expressiver Gestik auseinandergesetzt: etwa in der Arbeit e who remained was M, die sich in der Sammlung des Belvedere befindet. Boot lässt in Farbe getauchte Nudeln auf die auf dem Boden liegende Leinwand fallen. Daraus ergibt sich ein neo-abstrakt-expressionistisches Muster, das das gestische Moment ob seiner Absurdität zum Ornament degradiert und dabei das Prozessuale als Illusionismus karikiert. Die Arbeit Untitled (light blue) von 2012 hingegen gibt sich ohne Ironie der Gestik hin. Ein hellblaues Band aus der rhythmischen Sportgymnastik hat er in einem Rahmen drapiert und diesen dann mit Wachs ausgegossen. Aus einem Sportgerät, das Bewegung sichtbar macht, fertigt er also etwas, das an eine abstrakte Komposition erinnert – eine Metamalerei, die auf das Gestische in der Malerei verweist, ohne selbst gemalt zu sein.
Laura Owens ist als Malerin dafür bekannt, gleichermaßen abstrakt und figurativ, sowohl medienübergreifend und -überlagernd als auch mit einer Vielzahl von Referenzen aus Kunstgeschichte, Populär- und Volkskultur zu arbeiten. Kleine Aspekte und Details macht sie oft zu den Zentren ihrer Bilder, wenn sie neue Techniken ausprobiert und dadurch wieder einmal den Stil wechselt. Der Pinselstrich als dekoratives Element und Zeichen tauchte in den letzten Jahren vermehrt in ihren Werken auf, und auch bei Ohne Titel (Clock Painting) von 2013 scheut sie die Nähe zum Dekorativen nicht. In das Gemälde ist ein Uhrwerk eingebaut, ein Zeiger wandert über das Bild. Was in der Malerei steckt, steckt sprachlich auch in der Uhr: Der Zeiger wird im Englischen nämlich mit „hand“ bezeichnet, der Stundenschlag mit „stroke“. So kann der Zeiger durchaus buchstäblich als Metapher für die Hand gelesen werden, der sich beim Malen über die Leinwand bewegt und dabei die Form eines Striches hat, während Owens gleichermaßen auf die Zeit als Faktor in der Bildproduktion anspielt.
Christian Falsnaes’ bevorzugtes Medium ist die Performance. Er arbeitet dabei mit vorgefertigten Skripts denen er mehr oder weniger folgt, und motiviert das Publikum, sich zu involvieren. Es geht ihm um ein Erlebbarmachen von gruppendynamischen Prozessen, aber ebenso um das Bewusstmachen von Ritualen und Verhaltensnormen – im Speziellen auch in der Kunstwelt. Für die Ausstellung erarbeitete Falsnaes eine neue Variation des Stücks Existing Things, in dem das Publikum unter anderem gemeinsam ein Bild malt – mit einem Performer als Pinsel. Mit der Aktion wird individuelle Autorschaft geradezu aufgelöst in einem kollektiven Prozess, von dem dann bunte Pinselstriche in der Ausstellung nachvollziehbar bleiben.
Generell steht der Pinselstrich als eigenständiges Zeichen metaphorisch für die Kunst selbst und lässt sich im zeitgenössischen Kontext vor allem als kritische Anspielung auf den damit verbundenen Künstlermythos lesen. Die Ausstellung zeigt auf, wie sich der Blick auf individuelle Autorschaft, künstlerische Authentizität und Originalität verändert hat. An diesen Kategorien, unter deren Bedingungen wir Kunst wahrnehmen und reflektieren, scheint ein unverändertes Interesse zu bestehen. Allerdings hat sich durch die Möglichkeiten technischer Reproduktion und Medialisierung die Haltung gegenüber dem Wesen des Gestischen in der Malerei gewandelt. Der gestische Ausdruck erhält heute wieder vermehrt Aufmerksamkeit, da er Qualitäten in sich vereint, die der Digitalisierung unseres Alltags etwas Unmittelbares, ja erfrischend Körperliches entgegenhalten.
Franz Graf
»Siehe was dich sieht«
Mit Exponaten von unter anderem Franz Graf und Marc Adrian, Estera Alicehajic, Theo Altenberg, Ferdinand Andri, Anouk Lamm Anouk, Nobuyoshi Araki, Magnús Árnason, Johanna Arneth, Snorri Ásmundsson, Rudolf Bacher, Franz Barwig d. Ä., Lothar Baumgarten, Selina de Beauclair, Tjorg Douglas Beer, Joseph Beuys, Binär, Herbert Boeckl, Anna-Maria Bogner, Herbert Brandl, Geta Brătescu, Arik Brauer, Günter Brus, William S. Burroughs, James Lee Byars, John Cage, Nina Canell, Ernst Caramelle, Anna Ceeh, Larry Clark, Tamara Dinka, Iris Dostal, Marcel Duchamp, Dejan Dukic, Rudolf Eb.er & Joke Lanz, Valie Export, Helmut Federle, Ernst Fuchs, Walter Gamerith, August Gaul, Ron Geesin & Roger Waters, Gelitin, Liam Gillick & Corinne Jones, Allen Ginsberg, Sara Glaxia, Gottfried Goebel, Karl Iro Goldblat, Martin Grandits, Fritz Grohs, Mario Grubisic, Kristján Guðmundsson, The Guerilla Art Action Group, Tatjana Hardikov, Friedrich Hartlauer, Carl Michael von Hausswolff, Gunnhildur Hauksdóttir, Rudolf Hausner, André Heller, Herbert Hinteregger, Benjamin Hirte, Marcel Houf, Françoise Janicot, Ali Janka, Ana Jelenkovic, Robert Jelinek, Hildegard Joos, Donald Judd, Tillman Kaiser, Felix Kalmar, Allan Kaprow, Mike Kelley, Didi Kern & Philipp Quehenberger, Richard Kern, Leopold Kessler, Martin Kippenberger, Imi Knoebel, Peter Kogler, Franz Koglmann & Bill Dixon, Zenita Komad, Svetlana Kopystiansky, Brigitte Kowanz, Angelika Krinzinger, Elke Silvia Krystufek, Zofia Kulik, Doreen Kutzke, Marcellvs L., Bruce LaBruce, Eskil Loftsson, Daniel Löwenbrück, Sarah Lucas & Julian Simmons, Victor Man, Mark Manders, Michaela Math, marshall!yeti, Otto Maurer, Paul McCarthy, Andrew M. McKenzie, Bjarne Melgaard, Cecilie Meng, Merzbow, Rune Mields, Chiara Minchio, Milan Mladenovic, Klaus Mosettig, Otto Muehl, Wladd Muta, Adam Mühl, Gina Müller, Mario Neugebauer, Hermann Nitsch, Oswald Oberhuber, Erik Oppenheim & David Kelleran, Charlemagne Palestine, Manfred Pernice, Goran Petercol, Rade Petrasevic, Raymond Pettibon, Walter Pichler, Begi Piralishvili, Elisabeth Plank, Natascha Plum, Rudolf Polanszky, Franz Pomassl, Arnulf Rainer, Raionbashi / Krube., Konrad Rapf, Jason Rhodes, Paul-Julien Robert, Gerwald Rockenschaub, Dieter Roth, Fiona Rukschcio, Runzelstirn & Gurgelstøck, Alexander Ruthner, Gerhard Rühm, Kurt Ryslavy, Nino Sakandelidze, Georg Sallner, Ed Sanders, Markus Schinwald, Eva Schlegel, Conrad Schnitzler, Philipp Schöpke, Claudia Schumann, Rudolf Schwarzkogler, Frederike Schweizer, Björn Segschneider, Jim Shaw & Benjamin Weissman, Jörg Siegert, Sigtryggur Berg Sigmarsson, Tamuna Sirbiladze, Linnéa Sjöberg, Dominik Steiger, Nino Stelzl, Curt Stenvert, Alexander Stern, Rudolf Stingel, Martina Stoian, Johannes Stoll, Ida Szigethy, Lilli Thießen, Bjarni H. Thórarinsson, Manfred Unger, Franz Vana, Jannis Varelas, Walter Vopava, Wolf Vostell, Klaus Weber, Peter Weibel, Lois Weinberger, Herwig Weiser, Wendy & Jim, Adam Wiener, Ingrid Wiener, Oswald Wiener, John Wiese, Judith Weratschnig, Stefan Wirnsperger, Eva Wohlgemuth, Helmut Wolech, Iwona Zaborowska, Thomas Zipp und Heimo Zobernig
21er Haus, Wien
29. Jänner — 25. Mai 2014
Franz Graf ist ein recht spezieller Künstler. Er lässt sich nicht leicht in die üblichen Kategorien einordnen, und seine Arbeiten bzw. sein Œuvre ist nicht einfach zu beschreiben. Er ist weder vom Typ Konzeptkünstler, Malerfürst, verkanntes Genie, Staats- oder Marktkünstler noch ein Institutionskritiker und dennoch eine Menge von all dem – und immer einen Schritt voraus, wenn es darum geht, sich allzu gängigen Strukturen und damit einhergehenden Einordnungen zu entziehen.
Nach Lehrjahren bei Oswald Oberhuber an der Universität für angewandte Kunst Wien Mitte bis Ende der 1970er-Jahre arbeitet er bis 1984 mit Brigitte Kowanz im Dunstkreis des Neo Geo. Er entwickelt in den darauffolgenden Jahren eine eigene Bildsprache, die zwar noch sehr reduziert ist, aber schon als „expressive Geometrie“(1) bezeichnet wird. Aus der Beschäftigung mit der Grundeigenheit der Zeichnung – dem dunklen Strich auf hellem Grund – erarbeitet er ein Vokabular, das im Wesentlichen auf dem Gegeneinandersetzen von Kontrasten basiert. Geometrische Formen und ornamentalisierende Symbole dominieren seine Werke, die ab Ende der 1980er-Jahre zunehmend an Körperlichkeit gewinnen. Zeitgleich erweitert er sein technisches Spektrum. Neben Trägermaterialien wie Transparentpapier kommt der spezifischen Rahmung und der installativen Integration in den Raum immer mehr Augenmerk zu. Die klassischen Medien- und Kunstgrenzen werden überschritten, Zeichnungen werden zu Skulpturen, Skulpturen zu Möbeln, Möbel zu Installationen und diese wiederum zu räumlichen Ornamentationen. Und zwischendrin Malerei, die immer mehr sein Schaffen bestimmt. Parallel betreibt er die Ausweitung seiner Handlungsfelder. Graf kuratiert, musiziert, publiziert, veranstaltet und unterrichtet schließlich auch von 1997 bis 2006 an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Die Verschränkung von Kunst und Leben findet auch im Schaffen ihren Niederschlag. Franz Graf setzt gewissermaßen eine Bildmaschine in Gang, die sich alles einverleibt, was ihr über den Weg läuft. Diese Junggesellenmaschine treibt den Künstler an, zum Sammler, Archäologen, Dokumentaristen, Forscher und Archivar zu werden und die Fundstücke dann zu einer eigenen Welt zu amalgamieren. Sie werden dabei einem alchemistisch anmutenden Vorgang unterzogen, der die Dinge neu ordnet und die daraus resultierenden Strukturen zu einer eigenen Realität verschmilzt. In diesem Universum sind die Sachen eins und existieren gleichberechtigt nebeneinander, während sie miteinander verwoben sind. Ein Symmetriebedürfnis scheint diesem Kosmos zugrunde zu liegen, das eine reine und höhere Ordnung nahelegt, in der moralische, pekuniäre, ja weltliche Gesetzmäßigkeiten keinen Nutzen zu haben scheinen. Die Weltordnung ist jenseits von Gut und Böse und nichts unterworfen: keinen Idealen, keinen Hierarchien, nur dem Transzendentalen und dem Dualismus von Schwarz und Weiß.
Und doch bleibt Graf bei all dem der Zeichnung verbunden. Deren reduzierte Darstellung ermöglicht Abstraktion bei gleichzeitiger Abbildhaftigkeit, und das verhilft den Zeichnungen an sich zur Eigenständigkeit gegenüber Motiv und reiner Signifikanz. Genau hier setzt Graf an, nutzt die natürlichen Wahrnehmungsmuster – also die instinktive Suche nach Erkennbarem –, um das Auffindbare gleich wieder unserer Realität zu entfremden und in Striche, Linien und Flächen, aber auch Ideen und Zeichen zerfallen zu lassen. Das Bezeichnende wird dabei ebenso sichtbar wie das Bezeichnete und das Bezeichnen selbst.
Diesen Schemata folgt Franz Graf auch im Großen mit seiner Ausstellung im 21er Haus. Wahrnehmungsabläufe werden forciert, ein Kosmos wird formuliert. „Siehe was dich sieht“ ist das Motto der Schau, die nicht nur Grafs Arbeiten präsentiert, sondern auch den Anspruch erhebt, durchaus repräsentativ den aktuellen Zustand eines künstlerischen Universums abzubilden und mit seinesgleichen zu kontextualisieren.
Für seine Ausstellung im 21er Haus verzahnt Graf die vielen Ebenen seines Werks erneut, um sein charakteristisches Spiel mit Leere und Fülle, Schwarz-Weiß-Kontrasten, kleinen zarten Details und großem Ikonenhaftem, Archaischem und Modernem zu treiben. Eigens produzierte und ältere Arbeiten stellt er dabei Werken von internationalen und lokalen zeitgenössischen Künstlern sowie Exponaten aus der Sammlung des Belvedere und seiner eigenen Sammlung gegenüber.
Nur ein Teil seiner Bilder ist figürlich. Schwarz und weiß sind sie alle, aber auch abstrakt und ornamental. Dann basieren sie oft auf Kreisen, wirken wie Mandalas bzw. Meditationsobjekte, die einen inneren Prozess darlegen. Andere wiederum bestehen aus Buchstabenkombinationen, die Wortfetzen bis Zitate bilden. Deren Bedeutungen können entstehen und ebenso schnell wieder zwischen den Fingern zerrinnen, um sich in neuen Bedeutungen aufzulösen. Graf geht mit Lettern wie mit seinen figürlichen Motiven um. Durchaus eklektizistisch vereint er Elemente, um sie durch seine Materialpoesie neu hervorgehen zu lassen. Die Kulturtechnik des Copy-and-Paste gehört nämlich zu seinen grundlegenden Stilmitteln – Aneignung und Verfremdung sind seine Komplizen, Struktur und Wiederholung seine Mitwisser. Zeichnungen, Fotografien, Audio- und Leinwandarbeiten, Drucke und Alltagsobjekte verschränkt Graf dabei, um offene Systeme zu schaffen, die mehr ästhetische Erfahrungsräume sind als multimediale Installationen.
In der Ausstellung ruhen dabei einige Augen auf den Betrachterinnen und Betrachtern. Verführerisch, scheu, vorwurfsvoll, verängstigt und tief sind die Blicke, mit denen Grafs Bilder mit den Besuchern kokettieren. Kein Big Brother tritt dem Rezipienten entgegen, sondern Bilder auf Augenhöhe. Wie Spiegel werfen sie den Blick zurück auf die Betrachtenden, machen in ihrer Eindringlichkeit das Schauen zum unmittelbaren Thema: als Bewusstwerden zunächst des eigenen Schauens und in weiterer Folge des Erkennens und Wahr-Nehmens.
Aber der Titel „Siehe was dich sieht“ impliziert auch eine Wechselseitigkeit. Er deutet an, dass zu erwarten ist, dass man nicht nur sieht, sondern auch gesehen (und gelesen) wird. Die Frage, die man sich in Folge stellt, war auch Ausgangspunkt für die Konzeption der Ausstellung: Wie kann man sehen, ohne sich dabei durch das Präsentieren des eigenen Schauens abzulenken und in repräsentativen Gesten zu erstarren?
Aus praktischer Ausstellungseröffnungserfahrung weiß man: Es gibt kein Entrinnen. Entweder man gewöhnt sich an den Gedanken, noch mal allein zum Schauen zu kommen, oder man versucht, sich natürlich zu verhalten und das Risiko der Ablenkung auf sich zu nehmen. Für die Ausstellung haben wir uns für Letzteres entschieden. Also eigentlich dafür, das Schaffen nicht zu isolieren und zu stilisieren, sondern es mit all dem zu zeigen, das es bedingt und umgibt.
Den Rahmen dafür bildet eine Architektur aus Elementen, die normalerweise im Gerüst- und Bühnenbau verwendet werden. Das Display besteht aus Trägermaterial, das durchaus buchstäblich eingesetzt wird, um Strukturen sichtbar zu machen, die ansonsten im Hintergrund bleiben. Das Präsentieren geht also eine Symbiose ein mit dem unmittelbaren Zeigen der Konstruiertheit der Repräsentation. Die Summe der Teile ergibt nicht nur eine überbordende Ausstellung im Hauptraum des 21er Haus, sondern gleichsam eine Bühne, auf der Franz Graf während der Laufzeit seine Installation permanent erweitert, Exponate umstellt und umhängt und regelmäßig Performances und kollaborative Kunstproduktionen stattfinden. Besucherinnen und Besucher betreten also eine Bühne und werden gemeinsam mit Graf, eingeladenen Künstlern und den in Beziehung zueinander gesetzten Werken zu Protagonisten eines Prozesses der ständigen Adaption an die Umstände. Aber ist dabei sein nun alles? Kann die Ausstellung so aus den Repräsentationsmustern ausbrechen und einen unmittelbaren, sinnlichen Zugang, ja gar ein Durchdringen der Welt von Franz Graf versprechen? Selig sind wohl, „die nicht sehen und doch glauben“(2).
(1) Donald Kuspit, in: Franz Graf (Ausstellungskatalog, Galerie nächst St. Stephan, 22. Oktober – 26. November 1988), Wien 1988
(2) NT, Johannes 20,29.