»Instructions for Happiness«
Anna-Sophie Berger, Keren Cytter, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Barbara Kapusta, Rallou Panagiotou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Socratis Socratous, Jannis Varelas, Salvatore Viviano, Anna Witt; kuratiert von Severin Dünser und Olympia Tzortzi
21er Haus, Wien
8. Juli – 5. November 2017
Glücklichsein zählt zu den grundlegenden menschlichen Empfindungen und wir streben wohl alle danach, diesen Zustand auf die eine oder andere Art zu erreichen. Und um das persönliche Streben nach Glück geht es auch in dieser Ausstellung. Aber Anleitungen zum Glücklichsein? Da Glücklichsein eine sehr individuelle Angelegenheit ist, sind Anleitungen um dem Glück näher zu kommen natürlich eine recht absurde Versprechung. Trotzdem versucht die Ausstellung, sich dem Phänomen aus verschiedenen Perspektiven anzunähern.
Abgesehen davon, dass die Menschen schon immer versucht haben herauszufinden was glücklich macht und wann man sich selbst einen glücklichen Menschen nennen kann, gibt es nicht nur heute eine Fülle von Lebensratgeberliteratur, sondern gab es schon im Altertum immer wieder Anleitungen zum Glücklichsein. Natürlich waren sie mehr philosophischer Natur. Platon rät die drei Seelenteile Vernunft, Willen und Begehren nicht in Widerspruch kommen zu lassen und sie in Balance zueinander zu halten, um glücklich zu sein. Die Selbstverwirklichung ist laut Aristoteles eng verknüpft mit dem Glücklichsein, da man glücklich ist, wenn man gut ist in dem, was man sich zur Aufgabe gemacht hat und damit sowohl einen Platz in der Gesellschaft einnimmt als auch etwas zu ihr beiträgt. Für Epikur ist das persönliche Glück abhängig von strategisch eingesetztem Verzicht – um dann umso glücklicher zu sein, wenn man seinen Lüsten nachgeht, aber nicht abgestumpft zu werden von zu Vielem, das über die Grundbedürfnisse hinausgeht. Das Pflegen von zwischenmenschlichen Beziehungen etwa zählt er dazu. »Verschwende nicht was du im Moment hast mit den Gedanken an das, was du haben könntest. Sei Dir bewusst, dass das was du jetzt hast, ein Teil von den vielen Dingen ist, die du zu haben oder zu erreichen erträumt hast«, gibt Epikur mit auf den Weg. »Lerne still zu sein, lasse deinen Geist ruhen um zu hören und zu absorbieren« meinte Pythagoras, der auch zitiert wird mit »Je mehr aber unser Geist versteht, desto seliger sind wir.«
»Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied«, sagt der Volksmund. Es ist von Mensch zu Mensch verschieden was glücklich macht - alle haben wir individuelle Bedürfnisse, und deren Erfüllung muss dementsprechend auch von allen selbst in die Hand genommen werden. Unabhängig davon, ob die Erfüllung im Zwischenmenschlichen, Unmittelbaren oder Alltäglichen bzw. in der Schönheit der kleinen Dinge im Leben gesucht wird, versucht die Ausstellung die Vorstellungen vom Glücklichsein zu hinterfragen.
In der Arbeit von Anna-Sophie Berger etwa wird dazu aufgefordert, ein Kartenhaus zu bauen und es dann wieder einstürzen zu lassen – Präzises, konzentriertes Arbeiten auf ein Ziel hin, und die Freiheit das Produkt des eigenen Schaffens wieder hinter sich zu lassen. In Keren Cytters Videoinstallation spiegelt man sich selbst beim Anschauen einer Geschichte rund um eine Familie, Liebhaber, ein Strandhaus und einen einsamen Jungen, während man langsam von einer ruhigen Stimme in einen meditativen Gemütszustand gezogen wird. Heinrich Dunst stellt Fragen nach dem Status. »Nicht Worte« steht auf einem Bild, wurde aber durchgestrichten, darunter: »Dinge«. Eine doppelte Verneinung? Also doch Worte, als auch Dinge? Darunter jedenfalls liegt ein Fußabstreifer im Mondrian-Design, bei dem ebenfalls unklar ist ob er einfach ein Ding ist, ein bildhaftes Ding, oder ein dinghaftes Abbild eines Bildes. Auf Simon Dybbroe Møllers Fotografie ist eine Umarmung zwischen einem Koch und einem Installateur zu sehen. Geht es hier um Zwischenmenschliches? Eher um Körperliches: um Essen und Verdauen, um »Basics«, sozusagen. Christian Falsnaes’ Soundinstallation gibt Anweisungen für einfache Handlungen zwischen den Besuchern, bei denen soziale Konventionen spielend überschritten werden und die dabei sichtlich Freude bereiten. Barbara Kapusta dagegen lädt dazu ein, aus Modellierton Tassen und Schalen herzustellen – mit dem eigenen Körper also Trinkgefäße zu formen, die Grundbedürfnisse stillen. Rallou Panagiotou kombiniert unpersönliche Koffer mit Nachbildungen von Dingen aus glücklichen Erinnerungen – etwa das Paar Sandalen das in den 1990er Jahren an einem Strand verloren ging oder die vermeintliche Maske einer Medusa die im Sommerhaus der Großmutter hing. Nach dem Motto »sharing is caring« offeriert uns Angelo Plessas einen Speicherstick mit Daten zum Überspielen auf das eigene Gerät. Darauf finden sich jede Menge Selbsthilfebücher, Meditationsmusik, Ratgeber für das Liebesleben und Spiritualität – es scheint für alle möglichen Lebenslagen etwas dabei zu sein. Jannis Varelas gibt uns die Anweisung, den Ausstellungsraum zu verlassen und beim Spazieren durch die Stadt doch noch einmal darüber nachzudenken, ob man seine Aufmerksamkeit nicht doch noch einmal der Kunst widmen soll. Salvatore Viviano bittet darüber nachzudenken wie einsam man ist, während man Elvis Presley zuhört, wie er beim Singen von »Are you lonesome tonight« immer wieder zu lachen beginnt. Maruša Sagadins Skulpturenensemble lädt ein zur Reflexion des Lebens im öffentlichen Raum – einerseits hinterfragt sie die regenerativen Möglichkeiten im urbanen Bereich, andererseits die Funktion des Schminkens und die damit verbundenen formelhaften Konventionen der Repräsentation des Selbst: Wenn der Lippenstift ein Gebäude ist, ist mein Gesicht dann eine Fassade? Eine andere Frage stellt sich Hans Schabus mit seiner Plastik: Wenn das Glück ein Vogerl ist, ist es dann flüchtig? Und wenn ja, sollte man ihm dann nicht besser ein Häuschen bauen? Auch Socratis Socratous’ Skulpturen handeln von Zufluchtsorten. Kleine Inseln mit Pollern deuten Anlegestellen an. Sie bestehen zum Teil aus eingeschmolzenem Kriegsmaterial aus Konfliktgebieten. Es geht um Migration übers Meer und sichere Häfen, die man zu erreichen hofft. Anna Witt lässt in ihrer Videoinstallation schließlich eine Gruppe sechzig Minuten lang lächeln. In ihrem Werk geht es um die Kommerzialisierung von Emotionen, den Ausverkauf der eigenen Gefühle, der im Video zu einer Belastungsprobe wird.
Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung fordern mit ihren Arbeiten also dazu auf Handlungsanweisungen zu befolgen, auf hergestellte Situationen zu reagieren, Gegenstände zu benutzen, mit anderen zu interagieren, bzw. stoßen Denkprozesse zum Thema an. Die formal und inhaltlich sehr unterschiedlichen Positionen spiegeln die Vielfalt der Perspektiven wider, die die Künstlerinnen und Künstler – wie die Gesellschaft im Allgemeinen – auf das Glücklichsein haben.
Walter Benjamin schrieb »Glücklich sein heißt, ohne Schrecken seiner selbst inne sein zu können.« In diesem Sinne laden wir ein, sich ohne Vorbehalt auf die Arbeiten einzulassen und die Erfahrung aus den verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen Glücklichsein zur Reflexion zu nutzen. Zumal die eigene Erfülltheit auch damit zusammenhängt, seine Bedürfnisse und das damit verbundene Handeln zu reflektieren und so ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen – also die Lebenskunst im philosophischen Sinn zu beherrschen. Denn, um mit einem Zitat des Soziologen Gerhard Schulze zu schließen: »Wofür lebt man, wenn nicht für das schöne Leben?«
Katalog zur Ausstellung:
Instructions for Happiness
Herausgegeben von Stella Rollig, Severin Dünser und Olympia Tzortzi
Mit Texten von Anna Sophie Berger, Keren Cytter, Severin Dünser & Olympia Tzortzi, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller & Post Brothers, Christian Falsnaes, Barbara Kapusta, Rallou Panagiotou, Angelo Plessas, Stella Rollig, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Socratis Socratous, Jannis Varelas, Salvatore Viviano und Anna Witt
Grafikdesign von Alexander Nußbaumer
Fotografien von Thomas Albdorf
Deutsch/Englisch
Hardcover, 22,5 × 16 cm, 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2017
ISBN 978-3-903114-41-8
Anna-Sophie Berger
»let rise, let go«
21er Raum im 21er Haus, Wien
6. — 30. November 2014
Betritt man die Ausstellung von Anna-Sophie Berger im 21er Raum, nimmt man rasch einen Duft wahr: und zwar den Duft von frisch gebackenem Brot, das an mehreren Stellen im Raum auftaucht. Brot als Grundnahrungsmittel steht für das Stillen elementarer und existenzieller Bedürfnisse – nicht von ungefähr spricht man vom Broterwerb und dem täglich’ Brot. Es ist Symbol für das Aufkeimen menschlicher Kultur, ist religiöses Sinnbild und steht für die Ernährung, genauso wie es Soziales impliziert.
Bei Anna-Sophie Berger ist es auch ein Mittel zur Entschleunigung, das der eigenen Entwurzelung entgegenwirkt: Die Künstlerin reist durch die Weltgeschichte und ist kaum mehr als eine Woche an einem Ort. Brot selbst backen, und das gemeinsam mit ihrer Mutter, ist da ein guter Gegenpol zum Alltag der Digital Native. Brotmachen ist aber auch etwas, das dem klassischen skulpturalen Schaffen nahe kommt, wenngleich die Objekte ephemer sind. Sie sind nicht auf Haltbarkeit hin angelegt und erhärten mit zunehmender Dauer der Ausstellung. Danach werden sie zerkleinert und an Tiere verfüttert – der Kreislauf wird also geschlossen.
Die Brote stehen in ihrer organischen Labilität für eine unmittelbare Realität und in einem Gegensatz zu den Stoffbahnen mit ihren Motiven. Diese, gedruckt auf verschiedene Polyesterstoffe, die natürliche Textilien imitieren, beziehen sich ebenso auf das Leben der Künstlerin. Sie stammen aus einer Vielzahl von mit dem Mobiltelefon aufgenommenen Schnappschüssen, mit denen Berger ihren Alltag fragmentarisch dokumentiert. Sie selbst beschreibt die Bilder als „visuellen Output oder Illustration von Denkprozessen“ und sieht die Stoffrollen als „Versuch, sich mit Material und Information auseinanderzusetzen“.
Die bis zu 20 Meter langen Stoffbahnen wiederholen jeweils ein Motiv, das dadurch mit Bedeutung aufgeladen wird. Durch das Pixelrauschen werden die vergrößerten Bilder poetisch, vermitteln Nähe, verklären jedoch eher, als dass sie eine Situation dokumentieren. Abgebildet sind eine Schachfigur aus dem Cloisters-Museum in New York, Edelsteine aus dem Wiener Naturhistorischen Museum, Molekularküchenkost und Eierschalen. Die Wahl der Motive ist nicht beliebig. Einerseits sind ganze und fragmentarische Objekte dargestellt, andererseits natürliche oder kulturelle Artefakte und Bilder von Nahrungsmitteln oder Gerichten. Die Gegenüberstellung spiegelt auf der einen Seite die Wahrnehmung eines bestimmten Raumes wider, den Berger als Künstlertouristin einnimmt, und andererseits die tägliche Ernährung, unabhängig von einem spezifischen Umfeld.
Beide Bereiche sind voller zeitgenössischer Zweifel und Fragen nach kultureller Verwurzelung, Internationalität, Identität, Standort, Geopolitik und moralischer Haltung – ähnlich wie die Sätze und Satzfetzen auf den Glasarbeiten. Als Notizen in einem ähnlichen Zeitraum wie die Fotos entstanden, zeugen sie von einer Zerrissenheit, einem Schwanken zwischen den Möglichkeiten. Es sind Fragmente von Gedanken, die den Alltag bestimmen.
Was soll man essen, wenn sich persönliche Gefühle und soziale Prägung genauso im Konsumverhalten ausdrücken, wie es ökologische und ethische Überlegungen tun sollten, während man die finanziellen Möglichkeiten im Auge behalten muss? Wie können Bedürfnisse nachhaltig befriedigt werden, wofür kann man noch Verantwortung übernehmen? Und in welchem Verhältnis soll das Leben zu seiner virtuellen Repräsentation stehen?
Bergers Ausstellung im 21er Raum setzt sich mit den komplexen Verflechtungen zwischen sozialen Bedürfnissen, politischer Verantwortung und ökonomischer Wirklichkeit auseinander. Das Verlangen nach bestimmten Dingen scheint das Vermögen, eigene Entscheidungen hinreichend abzuwägen, zu übersteigen. Die Unmöglichkeit, das Richtige zu tun, spiegelt sich so in einem Leben zwischen Widerstehen und Nachgeben, kalt und warm – Seide und Baumwolle. Während Bergers Arbeiten versuchen, eine Balance zwischen der Immaterialität der digitalen Welt und einer immer noch physischen menschlichen Existenz auszuloten, verhandeln sie letztlich auch, was Material eigentlich ist. Was sind die Form und Textur eines Bildes? Alle Motive in der Ausstellung stellen spezifische physische Texturen dar, die durch ein digitales Verfahren gegangen sind, um schlussendlich auf Materialien gedruckt zu werden, die ihrerseits künstliche Repräsentationen von natürlichen Oberflächenqualitäten sind. Wenn Sie nun ob des Status der daraus entstehenden Produkte verwirrt sind, hat Anne-Sophie Berger Sie genau da, wo sie Sie haben will: beim Sich-selbst-in-Relation-Setzen zu einer Welt im Umbruch, die aufgrund einer Ununterscheidbarkeit von Ding und Abbild immer schwerer greifbar wird.
Anna-Sophie Berger arbeitet mit den Eigenheiten von Material und Produktion, dem Kontext der daraus hervorgehenden Objekte und deren Distribution. Sie spielt mit den Grenzen zwischen Disziplinen und setzt fließende Übergänge ein, um einen Blick hinter die Oberflächen des Alltags im 21. Jahrhundert zu werfen. Ihr Interesse gilt der täglichen Spannung zwischen materieller Realität, den sinnlichen Bedürfnissen eines sozialen Wesens und dem zunehmend digitalen Wahrnehmen des Lebens.
Anna-Sophie Berger wurde 1989 in Wien geboren, wo sie auch lebt und arbeitet. Ihre Arbeiten waren zuletzt in Ausstellungen bei Mauve (Wien), JTT (New York), Mathew (Berlin), Futura (Prag), Tanya Leighton (Berlin) und Clearing (Brüssel) zu sehen.
Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0