Till Megerle

»Donkeys«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

29. Oktober — 29. November 2015

 

Als Künstler geht es erst einmal darum, Möglichkeiten zu finden, um zu kommunizieren. Zeichnungen befinden sich außerhalb eines Repräsentationsdiskurses und bieten so ein hohes Maß an künstlerischer Freiheit, das auch in den niedrigschwelligen Produktionsbedingungen begründet ist: Zeichnen ist praktisch, billig und eigentlich immer und überall machbar. Zeichnungen unterstellt man deshalb gern eine gewisse Unmittelbarkeit, und man neigt dazu, sie zu psychologisieren. Till Megerles Arbeiten auf Papier scheinen diese Projektionen aber nicht einzulösen.
Das Medium ermöglicht, sich Vokabulare zu erarbeiten, um dann auf verschiedene Arten zu formulieren. Die Gesten, die dabei entstehen, verwendet Till Megerle wie einzelne Zeichen bzw. Buchstaben, die, immer wieder neu zusammengesetzt, Konstruktionen ergeben, die man „lesen“ kann. Das Interpretieren hintertreibt er allerdings, indem er Stile wie Worthülsen verwendet und von Zeichnung zu Zeichnung austauscht. Unsere Rezeption wird in ein Versteckspiel verwickelt zwischen dem, was wir sehen, und dem, was wir darauf projizieren. Und sie wird ins Schwanken gebracht mit einer Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz. In der Frühromantik schrieb Friedrich Schlegel: „In jedem guten Gedicht muss alles Absicht, und alles Instinkt sein. Dadurch wird es idealisch.“ Reflexion und Intuition, also Geist und Bauch, Distanz und Nähe, verbindet Megerle dann auch in seiner zeichnerischen Praxis, um Intensitäten hervorzubringen.
Um eine Gleichzeitigkeit innerhalb eines Dualismus geht es auch bei den Gnostikern. Zwischen 200 vor und 300 nach Beginn unserer Zeitrechnung basierten verschiedene gnostische Lehren auf dem Glauben an eine grundsätzlich böse, materielle Welt (der Mensch samt Körper und Geist mit eingeschlossen) im Gegensatz zu einem guten, allumfassenden Gott. Da der aber teilnahmslos ist, werden böse Götter angebetet. „So scheint mir die Anbetung eines Gottes mit Eselskopf (da der Esel das abscheulich-komischste, aber zugleich das menschlich-virilste Tier ist) noch heute imstande zu sein, eine ganz kapitale Bedeutung anzunehmen, und der abgeschnittene Eselskopf der azephalischen Verkörperung der Sonne stellt, so unvollkommen sie auch sei, gewiss eine der virulentesten Manifestationen des Materialismus dar“, schreibt Georges Bataille 1930 in seinem Aufsatz „Der niedere Materialismus und die Gnosis“.
Till Megerle eignet sich für seine Zeichenserie das Motiv des Eselskopfes an. Er übernimmt den Sujetkomplex als ein Stimmungsbild, das er interessant findet – es geht also um Bataille als Popmotiv und nicht um Neosurrealismus. Wie Bataille anmerkt, bietet der Esel einiges Identifikationspotenzial. Während das Pferd ein Schönheitsideal verkörpert, ist der Esel dessen mit minderen Qualitäten versehener Bruder. Das Pferd steht für Hochkultur, der Esel für den Zirkus: Er birgt ein Moment der Subversion in sich, ist Manifestation des entfesselten, dunklen Materiellen.
Die meisten Esel hat der Künstler in karikaturhafter Manier gezeichnet. Die Idee der Karikatur hatte für Megerle immer einen besonderen Reiz, da man dabei versuche, nicht authentisch zu sein, sondern über eine künstlerische Form über Sachen zu sprechen. Karikatur an sich ist kein Ausdrucksstil, sondern ein artifizieller Stil mit einer gewissen Distanz zur Realität und erleichtert so das In-Spannung-Bringen von Reflexion und Intuition. So verwundert es nicht, dass Megerle in einer anderen Serie auf das Karikaturrepertoire des 19. Jahrhunderts zurückgreift, etwa auf Wilhelm Busch. Dessen Werke kann man als lustige Geschichten lesen, aber auch als Illustrationen von Arthur Schopenhauers Ideen. Schopenhauers Philosophie kreist u. a. um den Willen, dessen stärkster Ausdruck der nicht dauerhaft zu befriedigende Geschlechtstrieb sei.
Und hier kommen wir langsam zum Kern der Arbeiten von Till Megerle, seien sie nun fotografisch oder zeichnerisch. Nicht nur bei den Eselsköpfen geht es um Körperlichkeiten, besser gesagt um Körperkomplikationen, um die Physis in ungünstiger oder unsouveräner Situation. In einer täglichen Praxis subsummiert Megerle einzelne Gesten zu sorgfältigen Gefügen. Die entstandenen Konstruktionen werden in Zweifel gezogen und auf wenige Blätter reduziert. Dieses Destillat ist lapidar, aber hält mit wenigen Strichen einen Diskursraum rund um Körperpolitiken, Sexualität und zwischenmenschliche Machtverhältnisse intakt, der zwischen den Zeichen zum Vorschein kommt.

Till Megerle wurde 1979 geboren und lebt in Wien und Berlin. Seine Arbeiten waren zuletzt u.a. bei William Arnold, New York (2015), im Kunstverein Freiburg (2015), bei Christian Andersen, Kopenhagen (2014), der Galerie Micky Schubert, Berlin (2014), bei Diana Lambert, Wien (2013) und bei Center, Berlin (2012) zu sehen.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0