Adriana Lara

»Less is More«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

24. September — 26. Oktober 2014

 

Adriana Laras Interesse gilt dem Zusammenspiel zwischen den Dingen in der Welt, ihrer Erscheinung, ihrer sprachlichen und symbolischen Repräsentation und den Problemen die sich dadurch auftun. Wie die Ordnung der Dinge und der Zeichen als Systeme korrelieren, stellt sie mit ihren Ausstellungen modellhaft nach und reicht die Frage nach Deutung und Bedeutung an die Besucher weiter. Sie verfolgt dabei eine recht spielerische, postkonzeptuelle Praxis, bei der die Inhalte gleichberechtigt mit ihren Objekten und deren sinnlichem Erleben sind und je nach Problemstellung in den unterschiedlichsten Materialien und Medien umgesetzt werden.

Das Umsetzen von Arbeiten ist nun thematischer Dreh- und Angelpunkt ihrer Ausstellung im 21er Raum. Was bedeutet Produktion, was bringt sie mit sich? Jedenfalls scheint die dreimonatige Residency, die Adriana Lara in Wien verbracht hat, den nötigen Abstand gegeben zu haben, sich mit Fragen wie dieser und den Erwartungen den Künstlerinnen und Künstlern gegenüber auseinanderzusetzen. Aber schauen wir uns einmal an, was die Künstlerin bei dem Versuch, den Produktionserwartungen nicht unmittelbar Folge zu leisten, schließlich umgesetzt hat.

Da wäre zuallererst eine Seitenfolge in einem Magazin, das sie auf einem Podest ausgebreitet hat. Darauf zu sehen ist eine lange Zahl, die mit einer Null und einem Komma beginnt, und nach einer endlosen Folgen von Nullen mit einer Eins endet. Die Arbeit ist mit »Less is More« betitelt, und gab auch der Ausstellung ihren Namen. Ganz buchstäblich sinkt der Wert der Zahl mit der Anzahl der Nullen, die Reduktion des Werts hat also ein Anschwellen der Seitenzahl zur Folge und damit auch ein Ansteigen der Kosten ihrer Anzeigenschaltung. Diese Geste von Produktion repräsentiert fast nichts. Sie beschreibt zwar ein Verhältnis, aber eines, das so gering ist, das die Idee und ihre Materialität keinen Zusammenhang zu einer damit beschriebenen Realität mehr herstellen kann. Dieser Bruch zwischen einer Idee und ihrer Wirklichkeit verweist aber auch auf mehrere »Less is More«-Problematiken. Etwa die, dass je mehr Menschen wir sind, desto weniger für den Einzelnen zur Verfügung steht. Oder das Phänomen der Reduktion auf das Wesentliche, dem Design- und Lebensstrategien unbeschränkt zu folgen scheinen. Selbst die Kunst und ihr Markt folgt dem Prinzip, mit der Folge der Steigerung von Nachfrage und Wert für die verbleibenden und einem guten, genügsamen, nachhaltigen Geschmack verpflichteten Objekte.

In diese Richtung sind auch die Toilettensitze zu interpretieren. Sie sind auf einer Höhe der Wand entlang angeordnet und ganz so gehängt, wie man es mit Kunst eben macht. Ihre Präsentation als Kunstobjekte spielt einerseits auf Marcel Duchamps »Fountain« an, und dessen Reduktion der Produktion auf ein Konzept bzw. eine Idee. Andererseits referenzieren die Plastikobjekte das symbolische Kapital der Institution, also das Erzeugen von Wert und Bedeutung durch Strukturen der Legitimation. Ganz buchstäblich liegt unter dem Toilettendeckel, der sich wie monochrome Malerei gebärdet, eine Null, die nur mehr visuell zu gebrauchen ist bzw. als Rahmen gesehen den Blick auf die Wand selbst richtet. Und das vor dem geistigen Auge bei den normalen Museumswänden, aber auch physisch bei einer schrägen Wand die die Künstlerin hier einziehen hat lassen.

Diese architektonische Geste – man ahnt es bereits – verkleinert den Raum, um gleichzeitig den Blick unter den Deckel – auf die Null, und wiederum die Wand darin – freizugeben. Ein reduktiver Akt der Produktion also auch hier, oder optimistischer gesagt eine produktive Reduktion. Die Neigung der Wand wiederholt sich in einer Fotografie. Auf ihr ist eine Porzellanfigur zu sehen, die etwas missraten ist. Sie kann nicht stehen, aber dieser Produktionsfehler macht sie einzigartig und interessanter als die rein dekorativen Figuren. Ihrer Funktion als verkäufliches Objekt beraubt, erhielt sie die neue Funktion als Anschauungsobjekt im Porzellanmuseum im Augarten und erhält symbolisches Kapital zugesprochen. Dieses transformatorische Moment ist auch Inhalt des Videos, das Lara im Kunsthistorischen Museum abgefilmt hat und den Prozess beschreibt, wie gefundene Objekte ins Museum kommen. Das Gegenteil dazu ist eine Kiste, gehängt wie ein Bild, und gefunden im Museumsdepot – auch hier wird an strukturell bedingte Transformationsprozesse erinnert.

Während hier also das Verhältnis von Produktion und Reduktion ausgelotet wird, die Deckungsgleiche von Bedeutung und Bedeutsamkeit nur rhetorisch bejaht wird und die Legitimation des Wesentlichen als strukturelles Phänomen skizziert wird, bleibt die Frage ob weniger tatsächlich mehr ist, offen. Sie wird an die Besucherinnen und Besucher weitergeleitet, genauso wie die Frage danach, ob Adriana Laras Versuch erfolgreich war, mit den angenommenen Erwartungshaltungen ihr gegenüber zu brechen.

 

Adriana Lara wurde 1978 in Mexico City geboren, wo sie auch lebt und arbeitet. Sie ist Mitglied von »Perros Negros«, einem 2003 von ihr mitgegründeten kuratorischen Kollektiv. Darüber hinaus ist sie Herausgeberin des vierteljährlich erscheinenden Magazins »Pazmaker« und Teil der Band »Lasser Moderna«. Ihre Arbeiten waren zuletzt u.a. in folgenden Ausstellungen zu sehen: »Let‘s Not Jump Into Concrete«, Indipendenza, Rom (solo, 2014); Marrakech Biennale 5 (2014); Documenta 13, Kassel (2012); »NY-USA«, Algus Greenspon, New York (solo, 2012); »S.S.O.R.«, Kunsthalle Basel (solo, 2012); und »Scryyns and Interesting Theories«, Air de Paris, Paris (solo, 2012).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0