Vittorio Brodmann

»Ups and Downs«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

20. November 2013 — 6. Jänner 2014

 

Die Vorzeichen für Malerei sind derzeit alles andere als günstig: Postideologisch, postkategorisch und postklassifikatorisch wird die Kunst momentan verhandelt. Postavantgardistisch und in einer Post-Studio-Praxis wird sie produziert. „Ich bin dann mal weg“, sagt die Kunst leise zur Moderne, während sie noch auf Facebook abcheckt, wo gerade die Post abgeht. Was ist passiert? Der Glaube an ein Künstlergenie ist schon in den 1960er-Jahren abhandengekommen, auf kleinste gemeinsame ideelle Nenner kann man sich seit Ende der 1990er lediglich schwer verständigen, dafür gilt das „Anything goes“. Die Kunstgattungen lassen sich sowieso nur noch unter äußerster Anstrengung getrennt voneinander diskutieren – die Künstler begnügen sich auch schon lange nicht mehr mit einem Medium, geschweige denn mit einem fixen Atelier. Es wird projektbasiert produziert und in Einheiten von Ausstellungen gedacht. Unter diesen Voraussetzungen müsste das Unternehmen Malerei eigentlich längst abgeschrieben sein.

Aber gerade der Kontrast zwischen dem von den digitalen Medien durchdrungenen täglichen Leben und der körperlichen Welt scheint die Malerei heute wieder attraktiv zu machen. Sie muss keine Realität mehr darstellen und steht dadurch nicht unter Manipulationsverdacht. Mehr noch, sie bleibt unmittelbar und authentisch. Sie ist real existierender Beweis für ein handelndes Subjekt: Durch sie hindurch scheint man direkt in die Psyche eines farbverschmierten Malers blicken zu können. So nostalgisch das Verhältnis zur Malerei sein mag, so real wirkt das Begehren von Nähe. Trotzdem scheint die Malerei alles zu verkörpern, was man heute an Ressentiments der Kunst gegenüber hegen könnte: Sie ist wie eine schlechte Parodie von Kunst. Das sind die Umstände der Malerei heute, und insbesondere auch der von Vittorio Brodmann.

Seine Bilder sind kleinformatig, eher nicht dafür gemacht, sie aus der Distanz zu betrachten. Auf ihnen sind anthropomorphe Wesen abgebildet. Müsste man sie einem Genre zurechnen, würde man sie wohl der Fantasy zuordnen – schon allein der Farben wegen. Die Charaktere gehen, lehnen, sitzen, schauen, stehen und liegen in einem Bildraum, während figurative und abstrakte Elemente die jeweiligen Bildwelten gegenseitig in einer Schwebe halten. Mit seinen Protagonisten schafft der Künstler kleine Narrative, die den Farbraum als Bühne für recht alltägliche Posituren nutzen.

Das Überspitzen des Alltags bis zur Dysfunktionalität ist die Spezialität von Daily Cartoons und Comic Strips. Es ist schwer zu übersehen, dass Brodmann sich deren Sprache angeeignet hat. Seine künstlerische Praxis ist an der Komödie orientiert und potenziell mit Slapstick verbunden. Situationskomik setzt immer einen Handlungsraum voraus – der fängt bei ihm mit der Gleichsetzung der dargestellten Figuren mit malerischen Gesten an und hört erst bei Performances auf, die der Künstler zunehmend sein bildhaftes Schaffen begleiten lässt. Die Summe von Gesten also, die man Malerei nennt, beginnt er zu erweitern.

Im Bildraum selbst belässt er es bei malerischer Narration. Die anthropomorphen Figuren sind Charakterköpfe, denen man schnell einmal Wesenszüge zuspricht. Auch die verwendeten Farben lassen Raum für spekulative Rückschlüsse auf die psychischen Zustände der Figuren und des Künstlers dahinter. Brodmann suggeriert und imitiert Gefühlswelten, die zur Interpretation emotionaler Befindlichkeiten einladen. Er spielt mit den Unterstellungen expressiver Malerei gegenüber und den Erwartungshaltungen an das Medium im Allgemeinen. Die Gesten der Malerei überspitzt er, um sie als Projektionen sichtbar zu machen. Er malt keine klischeehaften Bilder, sondern nutzt die Stereotype aus dem Alltag der Kunst als Metamotiv.

Das Darstellen von Wesen, vermischt mit dem Zeigen von Gesten, die damit einhergehen, führt zu Bildern, die nicht atmosphärisch wirken, sondern eher selbst wie Charaktere, die ihre ganz besonderen Eigenheiten haben. Es sind komplexe Typen, die sich von ihren verschiedenen Seiten zeigen – eigentlich nicht anders als der erweiterte Freundeskreis, den man recht unfokussiert über Postings im Internet wahrnimmt.

So verbinden Vittorio Brodmanns fabelhafte Bilder das Wesentliche, das die Malerei heute zu leisten vermag: Sie sind brüchig in ihrer Präsentation von Realität und zugleich repräsentativ in ihrem Verweis auf ein System visueller Signifikanten.

 

Vittorio Brodmann, 1987 in Ettingen (CH) geboren, lebt und arbeitet in Wien. Seine Arbeiten waren zuletzt u. a. in der Leslie Fritz Gallery, New York (2013), der CEO Gallery, Malmö (2013), der Galerie Gregor Staiger, Zürich (2012), bei Graff Mourgue d’Algue, Genf (2012), in der Halle für Kunst Lüneburg (2012), der Kunsthalle Bern (2012), der Kunsthal Charlottenborg, Kopenhagen (2011), im Kunsthaus Glarus (2010), in der Galerie 1m3, Lausanne (2010), und bei New Jerseyy, Basel (2009), zu sehen. 

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0