Susanne Kriemann

»RAY«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

2. Oktober — 10. November 2013

 

In girum imus nocte et consumimur igni ist nicht der Ausstellungstitel, sondern der Titel der Werkserie, aus der die im 21er Raum gezeigten Arbeiten stammen. Er ist ein Palindrom, also von vorne und von hinten gleich zu lesen, und bedeutet „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt“. Auch die Ausstellung schickt uns zwischen mehreren Erzählsträngen im Kreis herum.

Dass die meisten Fotografien der Ausstellung nicht während Susanne Kriemanns Residency in Wien entstanden sind, sieht man. Ein aufrecht stehender rötlicher Stein, Höhlenwände und eine doch recht amerikanisch anmutende Landschaft sind auf ihnen zu sehen. Entstanden sind die Aufnahmen während einer Recherchereise in Texas. Das aus der Reise resultierende Bildarchiv ist riesig, die Auswahl für die Ausstellung sehr eng und fokussiert. Als da wären: fünf aufeinandergestapelte Landschaftsbilder, die das Gebiet um Barringer Hill zeigen. Kriemanns Aufnahmen entstanden mit der Vision, die Bilder aus der Barringer-Hill-Fotosammlung heute noch mal zu schießen. Dort wurde 1887 eine ganze Reihe von Mineralien gefunden, darunter auch Fergusonit und Gadolinit, beides Seltene Erden. Als 1901 die Westinghouse Company das Nernstlampen-Patent erwarb, wurde die Mine zur Hauptlieferantin für die dafür benötigten und aus jenen Seltenen Erden hergestellten Glühstifte. 1910 war die Nernstlampe schon wieder überholt, Glühbirnen hielten Einzug in den Haushalten. 1937 wurde die Mine mit Wasser geflutet, das nun als Lake Buchanan über Barringer Hill ruht. Die Seltenen Erden aber sind mittlerweile gefragter denn je. In LEDs spenden sie wieder Licht, auch LCD- und Plasmabildschirme kommen nicht ohne sie aus. China kontrolliert heute den Markt für Seltene Erden und förderte 2011 97 Prozent der Weltproduktion. In den USA werden zurzeit wieder Minen erschlossen, um die Importabhängigkeit für die dringend benötigten Mineralien zu verringern. Kriemann selbst hat auf der Verwendung Seltener Erden basierende Technologie genutzt, um ihre Landschaftsbilder zu solarisieren – mit dem Licht ihres iPhone während des Abziehens ihrer Fotos.

Auch bei dem anthropomorph wirkenden Bild von Höhlenwänden waren LED- Scheinwerfer im Spiel. Sie beleuchten nämlich die Longhorn Cavern unweit des Barringer Hill.
Ein größeres Bild ist nicht in Texas, sondern im Naturhistorischen Museum in Wien entstanden. Galodinit – ein radioaktives Mineral und eine Seltene Erde – reagierte dafür mit Großformatfilm, ein Prozess, der etwa 20 Tage dauerte. Die Künstlerin beschreibt das Resultat wie folgt: „Der Stein sieht aus, als ob er aus dem Kosmos direkt auf dich zufliegt. Du kannst dich in dem Bild verlieren. Demgegenüber sieht die Höhlenlandschaft aus, als ob du etwas erkennst, und je länger du hinschaust, umso weniger weißt du, was du siehst. Als ob du vom Moment der Verunsicherung aus in zwei Richtungen gehst: Beim einen weißt du nicht, was du siehst, und versuchst es zu definieren, beim anderen denkst du, du weißt genau, was du siehst, aber du verlierst dich und weißt dann wieder überhaupt nichts.“

Das letzte Bild in der Ausstellung – ein digitales Foto – wurde ebenfalls im Rahmen der Texas-Recherche aufgenommen. Darauf ist ein Monolith aus rotem Granit zu sehen. Er kommt dort, wo er aufgestellt wurde, natürlich vor: bei der Amarillo Ramp, der letzten Land-Art-Arbeit von Robert Smithson. Der Künstler stürzte 1973 bei einer Besichtigung der Örtlichkeit mit dem Flugzeug ab, und seine Frau Nancy Holt ließ den Stein dort aufstellen.

Smithson entlehnte einen Begriff aus der Physik, um ihn auf gesellschaftliche und universale Phänomene anzuwenden: die Entropie. Das zweite thermodynamische Gesetz besagt nach Smithson, dass Energie leichter verloren als erhalten werden kann, dass der Grad an Unordnung (in der Sozialwissenschaft auch Ungewissheit) also stetig zunimmt. Er versuchte Momente zwischen Verfall und Erneuerung, Chaos und Ordnung herzustellen, während sich alles in ständiger Veränderung befindet.

Und so mäandert die Frage nach der Entropie auch durch die Ausstellung: eine Mine, die jetzt ein See ist, ein See, der auch ein Spiegel ist und gleichzeitig das Potenzial darstellt, dass aus der Minenhöhle irgendwann eine ausgewaschene Landschaft wird, die Steine sich also in einer Art skulpturalem Prozess transformieren. Dass Smithson hier in einen Stein verwandelt Einzug in die Ausstellung hält, unterstreicht den fast mystischen Zugang Susanne Kriemanns zum Thema Entropie. Auch die Seltenen Erden ändern bei ihrer Bewegung durch die Ausstellung ständig ihre Gestalt und ihre Bedeutung. Und die unsichtbare Strahlung der Steine wird zu einer Metapher für die Strahlung der Bildschirme, die uns heute überall umgeben, und die vielen Dinge, die man zu sehen glaubt, es aber nicht tut. Das Leben in einem permanenten Informationsaustausch führt zu einer ständigen Rückversicherung potenziellen Wissens und ist so repetitiv wie die Abzüge der Fotos der Serie, die einander alle sehr ähneln, aber nicht gleich sind. So wie der Satz „Wir irren des Nachts im Kreis umher und werden vom Feuer verzehrt“ in verschiedenen Sprachen unterschiedlich konnotiert ist. „Während man die Haut der Lichtkörper streichelt, um durch Informationswelten zu streifen, blickt man permanent ins Licht. Dazwischen ist Glas, die Geräte sind eigentlich Vitrinen, die Fotos und die Texte schon musealisiert und archiviert, d. h. eigentlich nicht mehr lebendig“, so Susanne Kriemann. Da kann man nur hoffen, dass die Entropie bald wieder abnimmt und wir nicht wie die Motten im Licht enden. 

 

Susanne Kriemann, 1972 in Erlangen geboren, lebt und arbeitet in Berlin und Rotterdam. Ihre Arbeiten waren zuletzt u. a. im Museum of Contemporary Art Chicago (2013), im Arnolfini, Bristol (2013), im Stedelijk Museum Amsterdam (2012), im Kunstverein Braunschweig (2012), in der Kunsthalle Winterthur (2011), im CAG Vancouver (2010), im KIOSK Ghent (2010), im Künstlerhaus Stuttgart (2009) und auf der Berlin Biennale (2008) zu sehen.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0