»Der Wert der Freiheit«

 

Zbynĕk Baladrán, Dara Birnbaum, Jordi Colomer, Carola Dertnig, Simon Dybbroe Møller, Harun Farocki, Karin Ferrari, Forensic Oceanography, John Gerrard, Johannes Gierlinger, Lola Gonzàlez, Johan Grimonprez, Igor Grubić, Eva Grubinger, Marlene Haring, Hiwa K, Leon Kahane, Šejla Kamerić, Alexander Kluge, Nina Könnemann, Laibach, Lars Laumann, Luiza Margan, Teresa Margolles, Isabella Celeste Maund, Anna Meyer, Aernout Mik, Matthias Noggler, Josip Novosel, Julian Oliver, Trevor Paglen, Christodoulos Panayiotou, Ivan Pardo, Oliver Ressler, Lili Reynaud-Dewar, Ashley Hans Scheirl, Christoph Schlingensief, Andreas Siekmann, Eva Stefani, Superflex, Pilvi Takala, Philipp Timischl, Milica Tomić, Betty Tompkins, Amalia Ulman, Kostis Velonis, Kara Walker, Stephen Willats, Anna Witt, Hannes Zebedin, Zentrum für Politische Schönheit, Tobias Zielony, Artur Żmijewski

 

Belvedere 21, Wien

19. September 2018 – 10. Februar 2019

 

Der Wert der Freiheit

 

Der Titel dieser Ausstellung verspricht, Antwort auf eine Frage zu geben: Welchen Wert hat Freiheit? Während damit über eine rhetorische Figur festgestellt wird, dass Freiheit grundsätzlich von Wert ist, wird gleichzeitig eine Kette von weiteren Fragestellungen ausgelöst. Ein Wert beschreibt ja eine Relation, aber wozu steht die Freiheit in Verhältnis? Abgesehen davon, dass es schwierig werden wird, die Freiheit zu validieren, ist auch offen, an wen sich die Frage richtet. Adressiert sie jede Einzelne und jeden Einzelnen oder uns als Gesellschaft? Und von was für einer „Freiheit“ sprechen wir hier überhaupt?
Aus den ersten Fragen ergeben sich auch schon erste Anhaltspunkte. So lässt sich erahnen, dass Freiheit keine messbare Naturgröße ist, sondern ein relationaler Begriff, der einem stetigen Wandel unterliegt. Er erfährt in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Bedeutungen und beschreibt als unbestimmte Variable auf psychologischer, sozialer, kultureller, religiöser, politischer und rechtlicher Ebene Aspekte unseres Daseins. Um sich einem zeitgenössischen Verständnis des Begriffs der Freiheit anzunähern, scheint es also angebracht, dessen Interrelationalitäten und Interkontextualitäten zunächst einmal historisch zu beleuchten.
Ihren Anfang nimmt die Geschichte der Freiheit mit der antiken Polis. Etwa ab dem 8. Jahrhundert v. Chr. organisieren sich Bürger selbstbestimmt in Stadtstaaten. In diesen Gemeinden halten sich bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. Demokratien, in denen die Macht direkt vom Volk ausgeht.[1] Platon sieht die Staatsform kritisch: „Eine Demokratie entsteht, wenn die Armen den Sieg davontragen und von der Gegenpartei die einen hinrichten lassen, die andern verbannen und den übrigen Bürgern gleichen Anteil an der Staatsverwaltung und an den Ämtern geben.“[2] Es gibt also hier schon ein strukturell in der Staatsform angelegtes Spannungsverhältnis zwischen Arm und Reich, Freiheit und Gleichheit, politischer Freiheit und ökonomischer Unfreiheit. In der antiken Philosophie wird der Begriff der Freiheit zudem vor dem Hintergrund diskutiert, dass die Partizipation an politischen Prozessen nicht allen gestattet ist: Unliebsame Personen werden von vornherein aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, Frauen besitzen kein Stimmrecht, ebenso wenig Sklaven. Von den Umständen und Problemstellungen ausgehend entwickelt die antike griechische Philosophie einen Freiheitsbegriff, der Eigenschaften wie Autonomie und Autarkie von der Demokratie auf den einzelnen Menschen umlegt, unabhängig von Stand und Geschlecht. Dem Individuum wird die Herrschaft über sich selbst zugesprochen, Freiheit als „selbstständige Lebensführung“[3] verstanden – allerdings immer in Wechselbeziehung zur Polis, die Gesetze braucht, um ihre Autonomie zu erhalten und damit auch die Freiheit ihrer Bürger.
Die Philosophen der Stoa ziehen sich schließlich aus den Überlegungen zur äußeren und politischen Freiheit zurück und verlagern den Schwerpunkt auf eine innere Freiheit, die eine trotz widriger äußerer Umstände sinnvolle Lebensführung ermöglicht (z. B. auch der Sklavin und dem Sklaven) und den eigenen Begierden und Verlockungen von außen die Vernunft entgegensetzt.
Auch die christliche Heilslehre zieht eine klare Grenze zwischen dem Inneren und dem Äußeren. Der Körper ist an eine von Versuchungen durchdrungene Welt gebunden, während der Geist seine Freiheit im Glauben an Gott ausleben darf. Das eigene Handeln in der Welt wird einer Selbstkontrolle unterworfen, doch die Taten zählen weniger als der richtige Glaube, der dahintersteht. Freiheit kann man sich in der Zeit vor der Aufklärung „nicht erarbeiten, sondern nur erglauben“[4]. Trotzdem gilt das Motto „Ora et labora“, „Bete und arbeite“, denn es geht dabei nicht nur um das Freisein im Geist, sondern ebenso um die Selbstbeherrschung des Körpers, sei es nun als Arbeiter oder als Mensch im Umgang mit anderen.
Die Aufklärung läutet daraufhin wieder eine Wende ein: den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“, wie es Kant formulierte.[5] Der Mensch soll nun wieder selbstständig denken und sich ein Urteil machen, sich auf den eigenen Verstand verlassen, statt nur auf andere zu hören. Rationalität ist nun gefragt, und damit werden Wissen und die Kontrolle von Wissen zum Machtinstrument, das den Glauben ablöst und Freiheit ermöglicht. Der Körper und der Geist können wieder näher aneinanderrücken, aber an die Stelle der Selbstbeherrschung tritt nun die Kontrolle von außen.
Ab dem 17. Jahrhundert können in Europa wieder verstärkt demokratische Strukturen Fuß fassen. In England werden dem Parlament ab 1689 Immunität, Finanzhoheit und Recht auf Versammlung unabhängig vom König verliehen. Schon damals gibt es Bestrebungen der politischen Bewegung der sogenannten „Levellers“, allen (männlichen) Bürgern gleiche Rechte und Religionsfreiheit zuzugestehen. Die Freiheit, die sie fordern, verstehen sie als Eigentümerschaft an sich selbst, was die damalige Oberschicht als Gleichmacherei auffasst.
Aufbauend auf den Ideen von John Locke veröffentlicht Charles Montesquieu 1748 seine Ideen zur Gewaltenteilung.[6] Legislative, Exekutive und Judikative sollen nach seinen Vorstellungen im Staat voneinander getrennt werden, um Despotie zu verhindern und nachhaltig Freiheit zu ermöglichen. Aus einer Mischung dieser Ideen, dem englischen Parlamentarismus und dem Modell der Räteverfassung der Irokesen wird 1787 schließlich der erste moderne demokratische Staat aus der Taufe gehoben: die Vereinigten Staaten von Amerika. Ab dem Ende der frühen Neuzeit kommt es noch zu einer Vielzahl von Umschwüngen, die die absoluten Herrschaften mehr und mehr abschwächen und das Bürgertum im 19. Jahrhundert wieder erstarken lassen.
Aus dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft ergeben sich gleichzeitig neue soziale Problemstellungen, in deren Zentrum der Arbeiter steht. Mit dem Ende der Leibeigenschaft und dem Abwenden von der Sklaverei bekommt das Arbeiten ab dem 19. Jahrhundert einen anderen Symbolwert. Der Arbeiter erhält nun Geld dafür, dass er Körper und Geist an einen Arbeitgeber verkauft. Und das Geld kann dann in weiterer Folge dafür verwendet werden – soweit es für die täglichen Ausgaben reicht –, sich Möglichkeiten zu schaffen, also Freiheiten. Und als der Glaube und der Staat anfangen, ihre Zügel zu lockern und den Individuen mehr Freiheiten zuzugestehen, entsteht Raum für eine neue Machtstruktur: die Marktwirtschaft.
Mit dem Industriekapitalismus nimmt ein Modell an Fahrt auf, das die Arbeit und deren Welt rationalisiert und optimiert. Seine Maxime ist die Profitmaximierung für den Besitzer der Produktionsmittel, sein Paradies ein (interventions-)freier Markt. Der Abstraktionsgrad der Wirtschaft wächst mit dem Aktien- und Finanzhandel stetig an, bis sich die immer häufiger auftretenden Störgeräusche schließlich 1929 in der Weltwirtschaftskrise entladen. Als Reaktion auf die ungezügelte Marktwirtschaft einerseits und die Interventionspolitik der Staaten andererseits entwickeln Walter Eucken und die Freiburger Schule das Konzept des Ordoliberalismus, der politische und wirtschaftliche Freiheit vereinen soll. Eine komplette Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat wird von den Vertretern des Ordoliberalismus abgelehnt, die nach den Erfahrungen unter dem NS-Regime und der Sowjetunion davon ausgehen, dass die Unterdrückung der wirtschaftlichen Freiheit mit politischer Unfreiheit korreliert. Der Staat soll die Rahmenbedingungen vorgeben, um z. B. Formen der Marktbeherrschung zu verhindern, aber nicht in den Wirtschaftsprozess selbst eingreifen. Soziale Gerechtigkeit und Leistungsprinzip sollen in Balance miteinander gehalten werden, genauso wie staatliche Ordnung und Subsidiarität.[7] In Anlehnung an den Ordoliberalismus entsteht das Konzept der sozialen Marktwirtschaft, das im Gegensatz zu diesem stärkere staatliche Lenkungsinstrumente vorsieht. Die soziale Marktwirtschaft, die ab den 1950er-Jahren in der Bundesrepublik Deutschland und Österreich umgesetzt wird, zielt auf soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ab, während sie den „ungezügelten“ Kapitalismus einschränkt, ihm aber auch Stabilität gibt. 2009 wird im Vertrag von Lissabon die Zielsetzung des sozialen Fortschritts durch wirtschaftliche Leistung auch von der Europäischen Union festgehalten.
Nachdem der sogenannte Ostblock sich Ende der 1980er-Jahre in Staaten mit demokratischen Strukturen verwandelt hat, scheint es, als ob sich Demokratie und Kapitalismus als parallele und sich potenziell befruchtende Systeme weltweit durchgesetzt hätten. Vor dem Hintergrund der Globalisierung und der damit einsetzenden neuen sozialen Spannungen wird das Verhältnis zwischen Marktwirtschaft und Demokratie jedoch zunehmend als problematisch empfunden.
Aber eine neue Grundhaltung scheint im Windschatten der Demokratie an Boden gewonnen zu haben: der Neoliberalismus. Wenn man ihn nach Wendy Brown „als etwas anderes als eine Menge wirtschaftspolitischer Verfahren, eine Ideologie oder eine Umgestaltung der Beziehung zwischen Staat und Wirtschaft“[8] versteht, nämlich als Neuordnung des Denkens, die „jeden Bereich und jedes Unterfangen des Menschen gemeinsam mit den Menschen selbst gemäß einem bestimmten Bild des Ökonomischen“ verwandelt, kann man ihn durchaus als ernsthafte Herausforderung für die Demokratie wahrnehmen.
Wenn der Mensch sich der Logik der Marktwirtschaft unterwirft, sich das Individuum an Effizienz- und Produktivitätsoptimierung misst und als Humankapital definiert, als Ich-AG nur noch auf den eigenen Wettbewerbsvorteil schielt – könnte das dann heikel werden für die libertäre Demokratie? Und wird das Leben denn freier durch einen Abbau der Regeln, die unser politisches Zusammenleben bestimmen, zugunsten der Marktwirtschaft? Colin Crouch subsumiert unter dem Begriff „Postdemokratie“[9] jedenfalls Phänomene, die nach seiner These eine Entwicklung hin zu deliberativen Demokratien andeuten: Während Nationalstaaten strukturell relativ träge sind, kann die Marktwirtschaft flexibel auf äußere Einflüsse reagieren und so Druck auf Regierungen ausüben. Dadurch erhöht sich der Einfluss von (Wirtschafts-)Eliten auf staatliche Entscheidungen, während die Partizipationsmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger sich immer mehr auf das Wählen reduziert, für das Debatten um wenige, ausgesuchte Themen inszeniert werden.
Aus dem kurzen historischen Abriss rund um die Freiheit ergibt sich ein Begriff, der von wechselnden Gegenspielern geprägt wird. Schon in der antiken Polis steht die Freiheit in Relation zu Gleichheit und die ökonomische Ungleichheit in einem Verhältnis zur politischen Gleichheit. In der Religion kommt es zu einer Spaltung zwischen Körper und Geist, die Selbstbeherrschung des Körpers wird zur Voraussetzung der nur noch geistig möglichen Freiheit. Die Aufklärung stellt logisches Denken über das Glauben und erhebt das Wissen zum Werkzeug der eigenen Befreiung aus der Unmündigkeit. Damit einhergehend kommt es zu Demokratisierungstendenzen, die der Freiheit des Bürgers im Staat neue Kontrollmechanismen entgegensetzen. Der ehemals Leibeigene wird zum Arbeiter, womit Freiheit zum Tauschobjekt wird: Arbeitskraft gegen Geld, Geld gegen Freiheit und vice versa. Das Streben nach der Akkumulation von Geld führt zum Kapitalismus, der die Freiheit des wirtschaftstreibenden Subjekts durch den Staat eingeschränkt sieht. Durch die zunehmende Komplexität und Abstraktion der Wirtschaft durch Aktien- und Finanzhandel in Verbindung mit der Aushebelung von staatlichen Kontrollinstanzen kommt es zum Zusammenbruch der Weltwirtschaft, infolge dessen die wirtschaftliche Freiheit strengeren Regeln unterworfen und der Versuch unternommen wird, sie in einer Balance mit der sozialen Gerechtigkeit zu halten. Während sich die Demokratie als Staatsform im Zusammenspiel mit der Marktwirtschaft ab den 1990er-Jahren zunehmend als alternativlos darstellt, kommt es mit der Globalisierung zu zunehmenden Spannungen zwischen den beiden. Und nun scheint das Denken des Neoliberalismus als neues Leitbild die vor zu langer Zeit errungenen, selbstverständlich wirkenden Freiheiten nach und nach wieder aufzulösen und die Demokratie langsam auszuhöhlen.
Vor diesem Hintergrund verhandelt die Ausstellung also den „Wert der Freiheit“. Wie das Thema selbst ist auch die Ausstellung als komplexes Feld von einander bedingenden Beziehungen aufgebaut. Anhand mehrerer sich überlappender Bereiche und querverbindender Erzählstränge wird versucht, sich der Thematik über unterschiedliche Perspektiven anzunähern.
Ein zentraler Teil der Ausstellung widmet sich direkt der Frage, was Freiheit denn überhaupt sein soll. Geht es um ein Freisein an der Schwelle zwischen Natur und Kultur (Alexander Kluge im Gespräch mit Christoph Menke), oder ist Freiheit nur ein Spiel, dessen Regeln und Widerstände es erst interessant machen (Simon Dybbroe Møller)? Kann der Mensch überhaupt mit Freiheit umgehen oder braucht er Regeln (Artur Żmijewski)? Kann das Eingrenzende zugleich Objekt der Begierde sein (Lars Laumann)? Ist der Sklave nie zu Ende befreit (Kara Walker)? Was symbolisieren Freiheitsmonumente, wie nehmen wir sie wahr, was lösen sie in uns aus (Dara Birnbaum, Luiza Margan)?
Um die Demokratie und um Staatsformen, die die Strukturen des Zusammenlebens bestimmen, geht es in einer weiteren Zone. Es wird nachgefragt, was Demokratie denn eigentlich ist und wie sie sein könnte (Oliver Ressler), die Choreografie und Konstruktion von Öffentlichkeit analysiert (Christodoulos Panayiotou), zur öffentlichen Rede animiert (Carola Dertnig) und dafür plädiert, die Liebe anstelle der Angst in den Mittelpunkt der Politik zu stellen (Johan Grimonprez). Der öffentliche Raum, der ein Spiegelbild der Vorstellungen der Politik genauso darstellt wie die teils differierenden individuellen Bedürfnisse, wird in einer Reihe weiterer Werke thematisiert. Mit „defensiver Architektur“[10] und Verboten werden sowohl unerwünschte Nutzungen verhindert als auch spezifische Handlungen und oft auch mit ihnen verbundene Bevölkerungsgruppen aus der öffentlichen Wahrnehmung verbannt (Šejla Kamerić, Nina Könnemann). Gleichzeitig ist er ein Raum von potenzieller (Milica Tomić) und tatsächlicher Gewalt (Teresa Margolles), der das subjektive Sicherheitsgefühl zu einem die Politik bestimmenden Faktor aufsteigen ließ. Um öffentliche Sicherheit und Ordnung und sein Gewaltmonopol zu gewährleisten, verfügt der Staat über ein Kontrollinstrumentarium, dessen Qualität und Quantität Ausdruck des Verhältnisses zwischen staatlichen Interessen und individuellen Bedürfnissen sind. Menschenmengen werden geregelt (Eva Grubinger), das Individuum überprüft (Aernout Mik), seine Kommunikation überwacht (Trevor Paglen, Julian Oliver) und Inhalte zensuriert (Betty Tompkins).
Die Kontrolle von Information ist heute ein zentrales Mittel der Macht. Wer weiß, welche Informationen für welche Öffentlichkeiten relevant sind und über welche Kanäle man deren Ansichten beeinflussen kann, kann auch gezielt Mehrheitsmeinungen herstellen, um politische Ziele durchzusetzen. So steht das statistische Wissen der Betreiber von Suchmaschinen und sozialen Plattformen heute einer inhaltlichen Orientierungslosigkeit der Benutzer gegenüber, die aus einer teilweisen Entfremdung von etablierten Medien resultiert (Karin Ferrari, John Gerrard, Anna Meyer). Daneben lobbyieren Think Tanks im Verborgenen für ihre Ideen und Interessen (Andreas Siekmann), was zusätzlich zu einem kollektiven Gefühl asymmetrischer Verteilung von Information rund um politische Entscheidungsfindungen führt. Das Gefühl des Ausgeschlossenseins aus politischen Prozessen erzeugt gleichzeitig Aktivismen, die öffentliche Darstellungen hinterfragen und kritische Öffentlichkeiten erzeugen (Forensic Oceanography, Zentrum für Politische Schönheit, Igor Grubić, Hiwa K, Laibach).
Dass die Freiheit ein fragiles Gut ist, führt eine Reihe weiterer Arbeiten vor. Die Verunsicherung durch steigende Komplexität, Widersprüchlichkeiten und beschleunigten Wandel (The Centre for Postnormal Policy & Future Studies) führt zu Rufen nach einem stärkeren Staat, ebenso Angst als gesellschaftliches Leitmotiv (Christoph Schlingensief). Korruption führt dagegen zu einer langsamen Zersetzung der Demokratie (Superflex). Mit der Auflösung des gesetzlichen Regelwerks ist man dann mit dem Recht des Stärkeren konfrontiert (Lola Gonzàlez) oder mit der absoluten Freiheit (Hannes Zebedin), je nach Sichtweise. Dem stehen utopische Entwürfe (Jordi Colomer, Eva Stefani, Anna Witt), die Flucht ins Innere bzw. in eine traumhafte Realität (Johannes Gierlinger) oder in Gegenwelten gegenüber (Tobias Zielony).
Um Freiheit geht es auch bei Subjektivierungsprozessen, also Vorgängen, durch die ein Individuum eine Position in einer sozialen Struktur zugewiesen bekommt und dadurch zum Subjekt wird. Über diesen Prozess wird nicht nur die Selbstwahrnehmung verändert, sondern auch der Handlungsspielraum des Subjekts definiert (Stephen Willats). Das Individuum möchte aber als das Subjekt wahrgenommen werden, als das es sich auch selbst sieht (Zbyněk Baladrán, Kostis Velonis), um auch in der Gesellschaft angemessen repräsentiert zu werden und den vom Individuum auf das Selbst projizierten Handlungsspielraum realisieren zu können. Während heteronormative Geschlechterrollen dekonstruiert und Identitäten individuell konstruiert werden (Matthias Noggler, Josip Novosel, Ashley Hans Scheirl, Philipp Timischl), kommt es zur Bildung von Gruppen nach kulturellen, ethischen, sexuellen und sozialen Merkmalen (Leon Kahane), die im Kampf um gesellschaftliche Anerkennung und Rechte (Isabella Celeste Maund, Marlene Haring) teilweise Menschen sowohl aus ihren Communitys ausschließen (wenn sie die Merkmale nicht erfüllen) als auch das Recht absprechen, sich zu ihren Anliegen zu äußern (Lili Reynaud-Dewar).
Abseits von geschlechtlicher, ethnischer und sozialer Zugehörigkeit ist auch Arbeit ein identitätsstiftender Faktor. Im Unterschied zur christlichen Selbstkontrolle des Körpers durch Arbeit in Opposition zu einer Freiheit im Glauben wird der Körper heute im Fitnessstudio optimiert, um langfristig Lebenszeit zu generieren, während Arbeitszeit geopfert wird, um über den Tausch gegen Geld Freiheiten kurzfristig umsetzbar zu machen. Es scheint vernünftig zu sein, eine ausgewogene Work-Life-Balance zu haben, während die Rationalisierung von Arbeitsprozessen und die Organisation von Humankapital (Harun Farocki) als Maßstab auf das Privatleben umgelegt werden (Amalia Ulman). Wie die täglichen Schritte ins Büro vom Smartphone gezählt werden, wird das Selbst in all seinen Facetten vermessen, vergleichbar gemacht und in Wettbewerb gestellt. Aber was gibt es zu gewinnen? Einen Preis für individuelle Effizienz? Oder muss die Gesellschaft den bezahlen? Die Produktivitätsmaxime (Pilvi Takala) scheint jedenfalls nicht verhandelbar zu sein.
Die Ausstellung umkreist also ein Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen: zwischen Mensch und Gesellschaft, Demokratie und Ökonomie, Arbeit und Freizeit, Körper und Geist, Natur und Kultur. Die Freiheit erweist sich in ihrem Wesen als relational, und sie muss auch ständig neu verhandelt werden. Wer mehr Geld hat als die anderen, hat auch mehr Macht und damit auch mehr Freiheit. Aber gibt es Freiheit überhaupt ohne die Differenz zum anderen?
Die Freiheit des Individuums beginnt jedenfalls mit seiner Subjektwerdung, der Befreiung von der Naturgetriebenheit. Dies ist ein Prozess der elterlichen Erziehung, „in dem aus der emotionalen Einheit von Freiheit und Kontrolle in der symbiotischen Beziehung Schritt für Schritt das Bewusstsein von Freiheit und Kontrolle wird“[11]. An diese Verbindung von Freiheit und Kontrolle, die man als Liebe erfährt, versucht man sich ein Leben lang wieder anzunähern. Um ihr nahezukommen, benötigt man allerdings beide Pole. Die Bewegung zwischen den Polen, der Vorgang des Sichbefreiens, ist, was wir als Freiheit empfinden – ein Prozess also, kein Zustand.
Der Vollzug der Bewegung zwischen den Polen von Natur und Kultur begleitet unser Menschsein.[12] Und nur das Dazwischensein ermöglicht uns das Erkennen der Differenz und führt uns zum Begreifen dessen, was wir als Freiheit an den Weggabelungen unserer Leben festmachen.

 

[1] Das Wort „Demokratie“ geht sprachlich auf die Verbindung des altgriechischen „dēmos“ – Volk – mit „kratós“ – Herrschaft – zurück.
[2] Platon, „Politeia“, 557a.
[3] Pseudo-Platon, „Definitionen“, 412 d 1.
[4] Markus Metz / Georg Seeßlen, „Freiheit und Kontrolle“, Berlin 2017 (E-Book), Kap. „Der Christenmensch und seine Freiheit“.
[5] Immanuel Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, Kap. 1, 1. Satz.
[6] Charles Montesquieu, „Der Geist der Gesetze“, Genf 1748.
[7] Das Subsidiaritätsprinzip sieht vor, Probleme auf möglichst kleiner Ebene, also z. B. durch das Individuum, zu lösen. Nur wenn Probleme auf einer Ebene nicht durch eigene Kraft gelöst werden können, soll die nächsthöhere Ebene unterstützend eingreifen und der darunterliegenden Ebene Hilfe zur Selbsthilfe geben.
[8] Wendy Brown, „Die schleichende Revolution. Wie der Neoliberalismus die Demokratie zerstört“, Berlin 2015, S. 8.
[9] Colin Crouch, „Postdemokratie“, Frankfurt a. M. 2008.
[10] Defensive Architektur verhindert bestimmte Nutzungen von zumeist öffentlichem Raum. Z. B. werden Parkbänke so gestaltet, dass darauf nicht geschlafen werden kann, Flächen vor Ladenfronten so, dass Menschen dort nicht länger verweilen. Unerwünschte Bevölkerungsgruppen wie Obdachlose oder Drogenabhängige werden dadurch aus dem Bild des öffentlichen Raums verdrängt.
[11] Metz/Seeßlen 2017 (wie Anm. 4, Kap. „Ach, die Gefühle, oder Wie Freiheit zur Produktivkraft wird“).
[12] „Es beginnt damit, dass wir mithilfe anderer die Fähigkeit erwerben, uns von der einfachen Naturgetriebenheit zu befreien. […] Die Welt, die uns einen Abstand von den natürlichen Antrieben verschafft hat, versklavt uns sofort wieder. […] Durch Verweilen auf der Schwelle zwischen erster und zweiter Natur kann man eine Analyse davon machen […]. Befreiung glückt immer erst beim zweiten Mal.“ Christoph Menke im Gespräch mit Alexander Kluge, „Freiheit glückt beim zweiten Mal“, in: „10 vor 11“, dctp.tv, Sendung vom 21.11.2016.

 

Katalog zur Ausstellung:
Der Wert der Freiheit
Herausgegeben von Stella Rollig und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, C Scott Jordan, Oliver Marchart, Elżbieta Matynia und Stella Rolling
Grafikdesign von grafisches Büro, Wien
Deutsch/Englisch
Hardcover, 22 × 30,5 cm, 160 Seiten, 262 Abbildungen
Verlag für moderne Kunst, Wien, 2018
ISBN 978-3-903114-63-0

 

Rundgang durch die Ausstellung (Video)