»Über das Neue – Junge Szenen in Wien«
Mit Arbeiten von Sasha Auerbakh, Anna-Sophie Berger, Cäcilia Brown, Marc-Alexandre Dumoulin, Melanie Ebenhoch, Johannes Gierlinger, Birke Gorm, Maureen Kaegi, Barbara Kapusta, Angelika Loderer, Nana Mandl, Matthias Noggler, Lukas Posch, Lucia Elena Průša, Rosa Rendl & Lonely Boys, Marina Sula, Philipp Timischl und Edin Zenun; Andreas Harrer, Florian Pfaffenberger und Julian Turner, kuratiert von Bar Du Bois; Steffi Alte, Harald Anderle, Owen Armour, Abdul Sharif Baruwa, Christoph Bruckner, Karoline Dausien, Veronika Eberhart, Søren Engsted, Exo Exo, Manuel Gorkiewicz, Robbin Heyker, Martin Hotter, Paul Housley, Terese Kasalicky, John Kilduff, Axel Koschier, Diana Lambert, Lukás Machalický, Maria Meinild, Jakob Neulinger, Georg Petermichl, Stefan Reiterer, Nora Rekade, Florian Rossmanith, Ellen Schafer, Constanze Schweiger, Ditte Soria und Julian Turner, kuratiert von New Jörg; unbekannter Autor, Abdul Sharif Baruwa, Karoline Dausien, Nicole Haitzinger, Ludwig Kittinger, Anja Manfredi, Thea Moeller und Martin Vesely, kuratiert von Ve.Sch; Florian Boka, Bartosz Dolhun, Kasper Hesselbjerg, Lisa Jäger, Suzie Léger & Katarina Csanyiova, Xenia Lesniewski, Claudia Lomoschitz, Bert Löschner, Line Lyhne, Maitane Midby, Philipp Pess, Tobias Pilz, Julia Riederer und Christian Rothwangl, kuratiert von One Mess Gallery; Bildstein | Glatz, Melanie Ender, Jonas Feferle, Michael Gülzow, Simon Iurino, Eric Kläring, Jürgen Kleft, William Knaack, Axel Koschier, Magdalena Kreinecker, Matthias Krinzinger, Claudia Larcher, Sophia Mairer, Andreas Müller, Lukas Matuschek, Noële Ody, Vika Prokopaviciute, Jörg Reissner, Stefan Reiterer, Niclas Schöler, Leander Schönweger, Lena Sieder-Semlitsch, SOYBOT, Laura Wagner, Angelika Wischermann und Alexander Jackson Wyatt, kuratiert von Pferd; Agnieszka Baginska, Juliane Bischoff, Martin Chramosta, Julia Grillmayr, Bob Schatzi Hausmann, Helmut Heiss, Nima Heschmat, Maruša Höglinger, Andrea Jäger, Lisa Kainz, Sebastian Klingovsky, Kluckyland, Sophia Mairer, Iwona Ornatowska-Semkovicz, Bianca Phos, Martyn Reynolds, Yves-Michel Saß, Anna Schachinger, Vanessa Schmidt, Joakim Martinussen & Agnes Schmidt-Martinussen, Paulina Semkowicz, Lena Sieder-Semlitsch, Sophie Tappeiner und Lukas Thaler, kuratiert von SORT; Ale de la Puente, Luzie Meyer, Nathalie Koger, Nadia Perlov, Laure Prouvost, Niclas Riepshoff, Vladimir Vulević & Nina Zeljković, kuratiert von Gärtnergasse; Nicoleta Auersperg, Gabriele Edlbauer, Maria Grün, Lore Heuermann, Laura Hinrichsmeyer, Nika Kupyrova, Mara Novak, Maša Stanić und Dorothea Trappel, kuratiert von GOMO; Ramaya Tegegne, kuratiert von Kevin Space; Kareem Lotfy, Evelyn Plaschg, Fabio Santacroce und Anne Schmidt, kuratiert von Foundation; Titania Seidl, Lukas Thaler und Laura Yuile, kuratiert von Mauve; Ivan Cheng, Christiane Heidrich, Iku, Evelyn Plaschg & Marielena Stark, Julius Pristauz, Daniel Rajcsanyi & Nils Amadeus Lange (kuratiert von school), kuratiert von Pina; kuratiert von Severin Dünser und Luisa Ziaja
Belvedere 21, Wien
1. März – 2. Juni 2019
Das Neue, das Junge, das Lokale und andere Mythen
Severin Dünser & Luisa Ziaja
Wir haben dieser Ausstellung den Titel „Über das Neue – Junge Szenen in Wien“ gegeben, ganz im Bewusstsein der Problematiken, die Begriffe wie „neu“, „jung“ und „Szene“ mit sich bringen, weil sich in diesen auch die Problematiken des Formats selbst spiegeln, sie quasi auf den Punkt gebracht werden. Wir möchten diesen Aspekten nachgehen und sie mit Überlegungen zum Ausstellungskonzept verknüpfen, um sie schließlich mit konkreten künstlerischen Ansätzen gegenzulesen.
Über das Neue
Das „Neue“ in der Kunst ist ein vielfach aufgeladener Begriff. Paradigmatisch steht es in der Moderne für das Streben der künstlerischen Avantgarden, das jeweils Vorhergehende abzuschütteln, zu überwinden und zukunftsvisionär nicht nur eine neue Kunst, sondern auch einen neuen Menschen, ja eine neue Welt zu entwerfen. Das Neue ist also eng verknüpft mit politischen und gesellschaftlichen Utopien, mit der Hoffnung auf die radikale Veränderung von Machtverhältnissen und menschlichen Existenzbedingungen. Nachdem die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts den Absolutheitsanspruch solcher Modelle diskreditiert hatten, galten fortschrittsorientierte Ideologien als nicht mehr haltbar. Als bewusster Bruch erteilte die Postmoderne dem Innovationsstreben der Moderne, dem Diktat des Neuen und dem utopischen Denken eine Absage.
Pluralität, Polyphonie und Multiperspektivität sind demgegenüber zu Schlüsselbegriffen einer postmodernen Ästhetik geworden, die von der Entgrenzung zwischen Gattungen, Medien, Hoch- und Populärkultur, Kunst und Alltag geprägt ist. Appropriation, Zitat, Wiederholung und Rekontextualisierung stellen dabei zentrale künstlerische Strategien dar, mittels derer Kategorien wie Originalität und Authentizität, aber auch Normen, Werte, strukturelle Produktions- und Rahmenbedingungen hinterfragt werden. Es geht also weniger um Neuentwürfe als vielmehr um eine andere Grundeinstellung, eine andere Perspektivierung, die nicht homogen ist, sondern vieles: dialektisch, mehrfach codiert, zitierend, reflexiv, subjektiv, offen. Künstlerinnen und Künstler wurden, wie es der Kurator Dan Cameron beschrieb, vom historischen Zwang befreit, eine stilistisch innovativ-originale Kunst zu schaffen.[1]
Vor diesem Hintergrund stellte sich der Begriff des Neuen in der Kunst als inadäquat, ja paradoxerweise als überholt dar. Anfang der 1990er-Jahre trat dann der Kulturphilosoph Boris Groys mit seiner Publikation „Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie“ an, das Neue zu reaktivieren, indem er es vom modernistischen Anspruch auf Norm, Authentizität und Utopie abkoppelte. Nach seinem Verständnis ist jedes Ereignis des Neuen „der Vollzug eines neuen Vergleichs von etwas, das bis dahin noch nicht verglichen wurde, weil niemandem dieser Vergleich früher in den Sinn kam“.[2] Innovation sieht er als einen Akt der Grenzüberschreitung zwischen dem Archiv – dem organisierten kulturellen Gedächtnis – und dem profanen Raum. Dabei findet eine Umwertung der Werte statt, „das als wertvoll geltende Wahre oder Feine wird dabei abgewertet und das früher als wertlos angesehene Profane, Fremde, Primitive oder Vulgäre aufgewertet“.[3] Das Neue folgt demnach den Prinzipien der Rekombination, der Kontextverschiebung und der Umwertung, die auf der Ebene der Wahrnehmung Differenz zum bereits Bekannten produzieren. Groys’ Begriff des Neuen schafft keine neue Realität, vielmehr stellt sich das Neue als Spiel des Neuen dar.[4]
Inzwischen wurde der Epochenbegriff der Postmoderne durch jenen der Gegenwart ersetzt. Zeitdiagnosen bezeichnen unsere Situation dementsprechend als permanente oder auch endlose Gegenwart, als ein aufgeblähtes Kontinuum unter den Bedingungen des Netzwerkkapitalismus, das Fortschritt und Zukunft auszuschließen scheint. Während der Blick nach vorn dystopisch verdunkelt ist, werden wir wahlweise von nicht vergangenen Vergangenheiten heimgesucht oder sehnen uns nach einer „verlorenen/geraubten/verwaisten, jedenfalls untoten Vergangenheit“, wie der Soziologe und Philosoph Zygmunt Bauman in seinem letzten Buch „Retrotopia“ konstatierte.[5]
Diesen Zusammenbruch von linearer Zeitlichkeit, das Leben im endlosen Jetzt, hatte bereits Fredric Jameson als kulturelle Logik des Spätkapitalismus analysiert und mit dem Fehlen adäquater Ausdrucksformen für die Gegenwart begründet.[6] Angesichts der Omnipräsenz einer Retrokultur, in der sich Traurigkeit, Melancholie und Nostalgie seiner Generation zu äußern schienen, formulierte der Kulturwissenschaftler Mark Fisher zwanzig Jahre später mit Bezug auf Jameson seine These der Heimsuchung der Gegenwart durch die Gespenster der Vergangenheit und entlehnte dafür Jacques Derridas Begriff der Hauntologie [7].
In einem Zusammenspiel von Überstimulierung (durch digitale Medien, hyperzirkulierende Bilder und Inhalte) und Erschöpfung (durch permanentes Recycling kultureller Ausdrucksformen) ist nun die Idee des Neuen gänzlich aus dem zeitgenössischen Denken verschwunden. Das Gegenwärtige ist solcherart mit Vergangenem durchtränkt, dass Unterscheidungen erodieren. Ebenso verschüttet scheint das Wissen darum zu sein, dass all das nicht neu ist und dass nicht nur das Neue tatsächlich einmal möglich war, sondern auch eine andere Realität denkbar. Während die Alternativlosigkeit des Kapitalismus allgegenwärtig ist, zeugen, so Fisher, die heimsuchenden Gespenster von einer Nostalgie für die verlorenen Zukünfte, die das 20. Jahrhundert noch zu antizipieren imstande war. Der gegenwärtige politische und kulturelle Konservatismus sei aber nur dann zu überwinden, wenn eine radikal andere Zukunft wieder vorstellbar werde.[8] Fishers „Hauntology“ wurde breit rezipiert und hat mit der Verbindung von politischer Theorie und der Analyse (pop-)kultureller Phänomene in gewisser Weise einen Zeitgeist getroffen, der sich auch in der künstlerischen Produktion einer jungen Generation widerspiegelt.
Wie dieser kurze Abriss verdeutlicht, treffen im Begriff des Neuen verschiedene Diskurse und Denkschulen aufeinander, die als Rahmenbedingungen gegenwärtigen künstlerischen Schaffens verstanden werden können. Gleichzeitig weckt dieser Begriff in seiner alltagssprachlichen Dimension bei den Rezipientinnen und Rezipienten jeweils individuelle Erwartungshaltungen, die vermutlich unerfüllt bleiben werden. Diese Diskrepanz und den daraus resultierenden Diskussionsbedarf versuchen wir, mit dem Titel, der einerseits Boris Groys direkt zitiert, andererseits in seiner allgemeinen Formulierung wesentlich über dessen Ansatz hinausgeht, zu adressieren.
Junge Szenen in Wien
Auch beim Untertitel handelt es sich um ein – allerdings abgewandeltes, dafür kontextspezifisches – Zitat: Ab 1983 zeigte die Wiener Secession in zunächst zweijährlichem Rhythmus die Ausstellungsreihe „Junge Szene“, die, anfangs von Künstlerinnen und Künstlern organisiert, dem lokalen Schaffen gewidmet war, später in größeren Abständen, in immer wieder verändertem Format, um internationale Positionen erweitert und von zum Teil externen Kuratorinnen und Kuratoren zusammengestellt, zuletzt 2010 unter dem Titel „where do we go from here?“ präsentiert wurde. Als weitere Referenz dienen die „Lebt und arbeitet in Wien“-Ausstellungen, die die Kunsthalle Wien in den Jahren 2000, 2005 und 2010 stets unter Mitwirkung von drei internationalen Kuratorinnen und Kuratoren realisierte. Auf der Basis eines Open Call und gewissermaßen unter entgegengesetzten Vorzeichen fand diese Serie dann in adaptierter Form als „Destination Wien 2015“ ihre Fortsetzung und folgte dabei einem Wienbezug als einzigem Kriterium.
Grundsätzlich treten solche Ausstellungsformate einer lokalen Bestandsaufnahme mit der Absicht an, als Plattform für die jeweils aktuelle künstlerische Produktion oft einer jüngeren und jungen Generation zu fungieren, die als Standortbestimmung gleichermaßen die Unverwechselbarkeit wie auch die Anschlussfähigkeit in einem internationalen Zusammenhang belegen soll. Diese durchaus widerstreitenden Ansprüche werden von weiteren Problematiken begleitet.
So steht eine geografische Abgrenzung in der Auswahl der Kunstschaffenden in Konflikt mit Entwicklungen, die mit der Etablierung des Internets eingesetzt haben. Künstlerinnen und Künstler, die in Wien leben und arbeiten, haben heute Zugang zu Informationen von überall, sie sind mobil und sie tauschen sich mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt aus. Die möglichen Einflusssphären haben sich im Vergleich zu früher vervielfacht, gleichzeitig werden lokale Phänomene sehr schnell zu globalen und entwickeln Wechselwirkungen, was es schwierig macht, sie geografisch oder lokalhistorisch herzuleiten. Die Annahme eines geografisch zuordenbaren, homogenen kulturellen Ausdrucks ist jedenfalls nicht haltbar.
Ebenso problematisch ist die Beschränkung auf ein bestimmtes Altersspektrum. So verleiten generationsbezogene Ausstellungen möglicherweise dazu, die Kausalität verschiedener individueller Phänomene auf einen Faktor zu reduzieren und dabei ebenso relevante Aspekte wie etwa geschlechtliche, ethnische und klassenspezifische Zugehörigkeit, Bildung, ökonomische Bedingungen oder soziales Umfeld auszublenden. Gerade die Kategorie der „jungen Kunst“ ist zudem mit allerlei Stereotypisierungen und Zuschreibungen etwa einer schnelllebigen, am nächsten Hype orientierten Eventkultur befrachtet. Diese verstellen oft den Blick für die Wahrnehmung individueller Produktions- und Bedeutungszusammenhänge.
Gerade im Kontext der nach wie vor definitionsmächtigen Institutionen werden an solche Überblicksformate zudem Erwartungen und Forderungen nach Objektivität, Vollständigkeit und Repräsentativität gestellt, die allesamt nicht einlösbar sind. Während die kuratorische Auswahl letztlich subjektiv und zwangsläufig unvollständig bleiben muss, wird das Ausgestellte dennoch vielfach als exemplarisch und stellvertretend für anderes wahrgenommen. Gleichzeitig impliziert selbst das fragmentarische Abbilden das Herstellen eines wenn auch temporären Repräsentationsgefüges.
Über diese allgemeinen Anforderungen hinaus sind besonders im musealen Zusammenhang die unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu berücksichtigen. Während individuelle Museumsbesucherinnen und -besucher jeweils eigene Vorstellungen mitbringen, kommen noch andere Interessengruppen wie Kunstschaffende, Galeristinnen und Galeristen, Sammlerinnen und Sammler, Studierende, Lehrende, Kunstkritikerinnen und -kritiker, Kuratorinnen und Kuratoren hinzu, die ihrerseits stark divergierende Erwartungshaltungen und Bedürfnisse haben. Eine Balance zwischen ihnen herzustellen, um eine breite Zugänglichkeit zu ermöglichen, ohne auf intellektuelle Tiefe zu verzichten, stellt eine der wesentlichen Herausforderungen dar.
Es gibt also zahlreiche Projektionen auf das Format der lokalen, generationsbezogenen Szeneschau. Dabei scheinen die genannten Kategorien nur bedingt dazu geeignet, als verbindende Elemente einen Erkenntnismehrwert zu schaffen, während sie Zuschreibungen und Verallgemeinerungen sicherlich befördern. Warum also diese Ausstellung zum jetzigen Zeitpunkt im Belvedere 21? Und wie ließe sich den skizzierten Problematiken konzeptuell begegnen?
Seit der Wiedereröffnung des ehemaligen 20er Hauses als zeitgenössische Dependance der Österreichischen Galerie Belvedere im Jahr 2011 gilt es, den Ausstellungspavillon als neuen zentralen Ort für die lokale künstlerische Produktion im internationalen Kontext zu etablieren. Neben verschiedenen Ausstellungsformaten, von umfassenden Werkschauen und Retrospektiven über thematische Gruppenausstellungen bis hin zu kleineren Solopräsentationen, widmete sich vor allem das Programm des 21er Raum von 2012 bis 2016 jungen, meist noch nicht etablierten Positionen, die in diesem Zusammenhang erstmals institutionell gezeigt wurden. „Über das Neue – Junge Szenen in Wien“ knüpft also in gewisser Weise gleichermaßen an die eigene Praxis wie auch an die genannten Ausstellungsformate in der Secession und in der Kunsthalle Wien an. Wie erwähnt referiert der Untertitel auf den inzwischen historischen Vorläufer, setzt die Szene aber in den Plural. Vermutlich konnte man auch Anfang der 1980er-Jahre nicht von einer homogenen „jungen Szene“ sprechen, selbst wenn die Situation damals sicher wesentlich überschaubarer war, als sie es heute ist.
Gegenwärtig jedenfalls stellt sich das zeitgenössische Kunstfeld in Wien als extrem vielfältig und diversifiziert dar: Die beiden Kunsthochschulen haben sich im Hinblick sowohl auf Lehrende als auch auf Studierende internationalisiert, im seit 2017 geführten „Independent Space Index“ sind derzeit knapp sechzig unabhängige Kunsträume und Offspaces verzeichnet – so viele wie schon lange nicht mehr. Nach Jahren der Stagnation haben ebenfalls 2017 mehrere neue Galerien geöffnet, und auch die institutionelle Landschaft ist trotz der Schließung einiger privat finanzierter Kunstvereine sehr aktiv. Es wird so viel Kunst produziert, präsentiert und diskutiert wie selten zuvor. Dabei ergänzen sich die Funktionen der unterschiedlichen Orte, während die ökonomischen Rahmenbedingungen extrem differieren.
Zum Konzept der Ausstellung
Mit der Ausstellung beabsichtigen wir, sowohl diese Vielfalt und Lebendigkeit in der Praxis der Kunstproduktion und -präsentation einer jungen Generation in Wien widerzuspiegeln als auch individuelle Positionen darin hervorzuheben. Über einen Plattformgedanken hinaus versuchen wir, die unterschiedlichen Anliegen und Haltungen der Protagonistinnen und Protagonisten in ein Verhältnis zu ihren Ausdrucksformen zu bringen. Ohne Zu- und Festschreibungen wollen wir individuelle Praxen greifbar machen, die in Summe die jüngeren Wiener Szenen ausmachen. Dafür verbinden wir künstlerische und kuratorische Formate zu einem dynamischen Gefüge, das sich über die Dauer der Ausstellung verändert.
Die Architektur dafür ist als offene Raumstruktur angelegt, die an ein gewachsenes urbanes Setting erinnert und sich bewusst nicht am Raster orientiert. Sie spielt mit Abfolgen von engeren Durchgängen und sich öffnenden Plätzen. Die einzelnen Wandelemente haben einen L-förmigen Grundriss, während sich die Dicke der Wände zu den Enden hin verjüngt. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Winkel an den Innen- und Außenseiten, die zudem in der Mehrzahl keinen rechten Winkel bilden. Wir haben die einzelnen Wandelemente so angeordnet, dass außer in drei Bereichen die Bildung von Räumen vermieden wird, um keine Gruppierungen beziehungsweise Kategorisierungen zu suggerieren.
In dieser Architektur werden die Werke von 18 Künstlerinnen und Künstlern gezeigt. Es sind 18 individuelle Zusammenstellungen existierender und neu geschaffener Arbeiten, die Einblick in die jeweilige künstlerische Praxis geben und an jeweils einer Innen- oder Außenseite der Wandelemente präsentiert werden. Mit dem Ziel, durch mehrere Werke dieser Kunstschaffenden die individuelle Praxis im jeweiligen OEuvre zu kontextualisieren, versuchen wir, die Gewichtung der Interrelationalität vom großen Ganzen auf die kleineren Einheiten zu verschieben und damit den Fokus auf die einzelnen Positionen zu verstärken. Unsere kuratorische Auswahl von 18 Künstlerinnen und Künstlern unterliegt dabei zwei Grundvoraussetzungen: Wien als Arbeits- und Lebensmittelpunkt und ein maximales Alter von 35 Jahren. Wir haben uns für eine recht niedrig angesetzte Altersbeschränkung entschieden (meist liegt diese bei maximal vierzig Jahren), um die potenzielle Auswahl so zuzuspitzen, dass sich unter die „emerging artists“ nicht zu viele Künstlerinnen und Künstler in ihrer „mid-career“ mischen.
Natürlich ist uns bewusst, dass unsere Auswahl klein, subjektiv und unvollständig ist. Um die Vielfalt und die Vielstimmigkeit der Wiener Kunstszenen zumindest ansatzweise widerzuspiegeln, haben wir zusätzlich zu den 18 Positionen zwölf Projekträume eingeladen, Ausstellungen in der Ausstellung zu konzipieren. Diese erweitern und multiplizieren unseren kuratorischen Blick, vielleicht kommentieren und konterkarieren sie ihn auch – jedenfalls bringen sie andere Perspektiven aus der Stadt in die Ausstellung ein.
Drei Räume innerhalb der Ausstellung werden so gleichzeitig in einem Intervall von drei Wochen bespielt. Dafür erhielten die Projekträume eine Carte blanche, also keinerlei Vorgaben im Hinblick auf das Format oder die Auswahl und Anzahl der ausgewählten Künstlerinnen und Künstler. Daraus resultieren Solopräsentationen und umfangreiche Gruppenausstellungen, Performances und Screening-Programme mit jüngeren und älteren, lokalen und internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Dabei bilden sich nicht nur eine Vielschichtigkeit, sondern auch Interessengebiete ab, während ebenso kuratorische Praxen sichtbar werden.
Projekträume arbeiten bekanntlich zumeist prekär und im Vergleich zu Institutionen mit ganz anderen Ökonomien, die stark auf Selbstorganisation, Tausch und Engagement basieren. Vor diesem Hintergrund war uns wichtig, egalitäre Produktionsbudgets für die zwölf Spaces sowie die 18 Künstlerinnen und Künstler bereitzustellen, über die frei verfügt werden konnte. Zudem hofften wir, dass unsere Einladung von den Projekträumen nicht als institutionelle Vereinnahmungsgeste verstanden würde, sondern vielmehr als eine Möglichkeit, eine andere Form der Sichtbarkeit wie auch ein anderes Publikum zu erreichen.
Künstlerische Ansätze und Tendenzen
Während wir in der räumlichen Präsentation der künstlerischen Positionen thematische Anordnungen vermieden haben, um die erwähnten allzu leichten Zuschreibungen und Kategorisierungen nicht zu befördern, lassen sich in der Summe der einzelnen Ausstellungsteile doch einige künstlerische Tendenzen herausarbeiten, liegt doch genau darin das Potenzial eines solchen Formats.
So sind handwerkliche Fertigkeiten und das Beherrschen traditioneller Techniken für viele der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler zentral, oftmals im Verbund mit einer großen Lust am Experimentieren mit Materialien und ihren spezifischen Eigenschaften. Marc-Alexandre Dumoulin etwa schafft in einer altmeisterlichen malerischen Perfektion luzide Gemälde, während sich Edin Zenun mit Öl, Ton und Pigment malereiimmanenten Fragen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion widmet. Angelika Loderer experimentiert mit Hilfsmitteln aus der Metallgussproduktion wie Gusssand, den sie durch Pressen und Stampfen in eigenständige temporäre Skulpturen transformiert. Sasha Auerbakh hingegen folgt weniger den spezifischen Eigenschaften ihrer Materialien, als dass sie sich in obsessiver Arbeit über diese hinwegsetzt. Cäcilia Brown spielt mit widersprüchlichen Konnotationen des Flüchtigen und des Beständigen, wenn sie Pappkartons, die als prekäre Behausungen für die Nacht dienen, in Beton abgießt. Und in Birke Gorms vasenartigen Sandskulpturen und Wandarbeiten aus Jutesäcken treffen Ästhetiken des Haptisch-Kunsthandwerklichen und des Digitalen aufeinander.
Die Bedingungen der Digitalität und die immer lückenlosere Eingebundenheit in verschiedene Mediendispositive werden vermittelt oder unvermittelt in zahlreichen Arbeiten reflektiert. So widmet sich etwa Maureen Kaegi in minutiösen zeichnerischen, also analogen Prozessen Wahrnehmungsphänomenen des digitalen Rauschens, die sie mit kontemplativer Vertiefung kontert. Lukas Posch hingegen beschäftigen die invasiven Erregungseffekte des Digitalen auf Körper und Psyche des Individuums, denen er mit den Mitteln der Malerei begegnet. Und Nana Mandl arbeitet entlang der Bruchlinien der Visualität der Gegenwart, wenn sie die Inflation digitaler Bildproduktion und -zirkulation mit ihrer wandfüllenden Materialcollage in den analogen Raum rückkoppelt.
Das Internet bietet Freiheiten und endlose Entfaltungs-, Informations-, Unterhaltungs- und Konsummöglichkeiten. Die Makellosigkeit des Digitalen hat eine große Anziehungskraft, auch wenn man weiß, dass Algorithmen unser Nutzungsverhalten friktionsfrei zu gestalten versuchen, und ahnt, dass man Manipulationsversuchen ausgesetzt ist. Selbst bei verantwortungsbewusstem Umgang verführen die Angebote des Internets dazu, große Teile der Freizeit mit ihnen zu verbringen. Das bringt auch eine Entkörperlichung mit sich, eine Entfremdung von der eigenen Physis. Gegenläufig zu dieser Entwicklung scheint die Körperlichkeit bei mehreren der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler ein wichtiges Thema zu sein. Etwa bei Birke Gorm, die Idealisierungen des Digitalen ins Unvollkommene des Physischen übersetzt und dabei den Aspekt der körperlichen Arbeit besonders betont. Bei Lucia Elena Průša geht es um subjektive Zeitwahrnehmung, die durch Abläufe im Körper getriggert wird. Für Barbara Kapusta ist der Körper als Verbindungsglied relevant, in dem Innen und Außen zusammenlaufen. Cäcilia Brown stellt ihn und seine Bedürfnisse in ein Verhältnis zum öffentlichen Raum, während Marina Sula interessiert, wie über architektonische Strukturen Haltung und Verhalten korrigiert werden. Sie sieht den Körper als Biomasse, deren Ausformung das Produkt aus Erbanlagen und äußeren Einflüssen ist, außerdem reflektiert sie ihn als einen Ausdruck von Zugehörigkeit und in seinem Verständnis als Maschine und Arbeitsinstrument, das durch Effizienzsteigerung und (Selbst-)Disziplinierung auch zu einer Entfremdung von ihm führt. Der Verwandlung des Körpers durch Prothesen als Optimierung und gleichzeitige Selbstfragmentierung stellt Sula seine Präsenz als Vehikel für potenzielle soziale Interaktion gegenüber.
Auch bei Anna-Sophie Berger ist physische Anwesenheit ein Faktor im Kontext ihrer eigenen Mobilität zwischen verschiedenen geografischen Lebensmittelpunkten. Daraus resultiert ein Moment der Zerrissenheit im Konstruieren der eigenen Identität zwischen Kosmopolitismus und Verwurzelung – und damit die Frage nach Zugehörigkeit, die auch weitere Künstlerinnen und Künstler in der Ausstellung beschäftigt. Johannes Gierlinger etwa adressiert historische und aktuelle politische Radikalisierungen im Kontext nationaler Identitätsentwürfe. Matthias Noggler hingegen beschreibt Zugehörigkeit als gruppendynamischen Prozess, der Mechanismen von Inklusion und Exklusion unterliegt (die auch Lucia Elena Průša thematisiert) und Formen der Subjektivierung mit sich bringt. Birke Gorm wiederum sieht das Individuum gesellschaftlichen Normen und Erwartungen ausgesetzt, denen gegenüber es sich verhalten und demonstrativ positionieren muss. Rosa Rendls Fotografien kreisen um Identität und deren Vermittlung beziehungsweise um die Konstruktion von Authentizität, während Melanie Ebenhoch die Wechselwirkung zwischen der Rezeption von Kunstwerken und der Annahme von Projektionen auf die Figur der Künstlerin dahinter zum Ausgangspunkt für Überlegungen zur Malerei als Medium der Repräsentation macht. Auch bei Philipp Timischl, der auf Herkunft und Sexualität als Faktoren fokussiert, die die soziale Zugehörigkeit beeinflussen, mündet die Frage nach der Identitätskonstruktion im Nachdenken über deren Repräsentation beziehungsweise Emanzipation durch Formen der Selbstdarstellung.
Das Ausbilden von Zugehörigkeiten geht Hand in Hand mit Prozessen der Individualisierung. Das bildet sich in der Ausstellung nicht nur auf der Metaebene der Konstruktionsbedingungen von Identität ab. Es wird auch in Bestrebungen deutlich, der eigenen Identität in ihrer Individualität abseits von Ansprüchen auf Allgemeingültigkeit und Objektivität künstlerisch Ausdruck zu verleihen. Im Unterschied zu individuellen Mythologien im Szeemann’schen Sinn fehlen dafür zwar das Archetypische und die Obsessivität, aber Tendenzen zum Rückzug ins Private und Subjektive zeichnen sich bei mehreren der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler ab. Vom Wunsch nach Authentizität getragen werden Emotionen und Empathie zum Inhalt von Werken, die das individuelle Befinden ins Zentrum stellen. Das ist in den Musikvideos von Lonely Boys ebenso zu spüren wie in den inneren Landschaften, die Marc-Alexandre Dumoulin vor uns ausbreitet. Auch wenn Lucia Elena Průša Zeit als subjektive Empfindung darstellt, Sasha Auerbakh den mentalen Ausnahmezustand unerwiderter Liebe verarbeitet, Barbara Kapusta Begehren, Lust und Schmerz in einer kognitiven Dissonanz aufgehen lässt oder Philipp Timischl persönliche Gefühlszustände zu einer retrospektiven Introspektive versammelt, werden innere Zustände zum Ausdruck von Weltanschauungen, die das große Ganze im Existenziellen mitmeinen.
Im Neben- und Miteinander, das die Ausstellung schafft, lassen sich also gedanklich Interessen und Positionsbestimmungen zu Vektoren verbinden, die in verschiedene Stoßrichtungen weisen. Das sind Narrative, die grobe Überschneidungen andeuten und dabei natürlich auch verkürzen. Sie sind unsere subjektiven kuratorischen Projektionen auf das breite Feld der Produktionen und Praxen junger lokaler Künstlerinnen und Künstler, die unsere Auswahl für die Ausstellung mitgeprägt haben. Und als solche haben diese Narrative zwar zum Gesamteindruck der Ausstellung beigetragen, sind aber nicht die tragenden Säulen. Denn das sind die unterschiedlichen Synergien und Wechselwirkungen zwischen einzelnen künstlerischen Haltungen und Vorgehensweisen, kuratorischen Ansätzen und Strategien, die in der Schau verdichtet aufeinandertreffen. Und vielleicht findet sich eben darin eine Antwort auf die Frage nach dem „Neuen“, auf den Verlust von Utopien und Zukunftsperspektiven: im Wechselspiel zwischen Individualisierung und dem Wunsch nach gemeinsamen Zielvorstellungen und der daraus entstehenden Dynamik.
[1] Vgl. Dan Cameron, „Neo-Dies, Neo-Das: Pop-Art-Ansätze in den achtziger Jahren“, in: „Pop-Art“, München 1992, S. 264, zit. nach Boris Groys, „Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie“, Frankfurt am Main 1999, S. 167.
[2] Boris Groys, „Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie“, Frankfurt am Main 1999, S. 49.
[3] Groys 1999 (wie Anm. 2), S. 14.
[4] Vgl. Brigitte Werneburg, „Le postmodernisme n’existe pas. Zu Boris Groys’ Theorie des ‚Neuen‘ – Versuch einer Kulturökonomie“, in: taz. Die Tageszeitung, 18.1.1993.
[5] Vgl. Zygmunt Bauman, „Retrotopia“, Berlin 2017, S. 13.
[6] Vgl. Fredric Jameson, „Postmodernism, or, The Cultural Logic of Late Capitalism“, London / New York 1991.
[7] Vgl. Jacques Derrida, „Marx’ Gespenster. Der Staat der Schuld, die Trauerarbeit und die neue Internationale“, Berlin 2004.
[8] Vgl. Mark Fisher, „What is Hauntology?“, in: Film Quarterly, 66. Jg., Nr. 1, Herbst 2012, S. 16–24. – Ders., „Ghosts of My Life: Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures“, Winchester/Washington 2014.
Katalog zur Ausstellung:
Über das Neue – Junge Szenen in Wien
Herausgegeben von Stella Rollig, Severin Dünser und Luisa Ziaja
Mit Texten von Severin Dünser, Stella Rollig und Luisa Ziaja
Grafikdesign von FONDAZIONE Europa (Alexander Nußbaumer & Benjamin Zivota)
Deutsch/Englisch
Hardcover mit Leinenüberzug, 18,5 ×28,5 cm, 320 Seiten, 247 Abbildungen
ISBN 978-3-903114-74-6
Rundgang durch die Ausstellung (Video)
»Über das Neue – Junge Kunst aus Wien«
Mit Arbeiten von Sasha Auerbakh, Anna-Sophie Berger, Cäcilia Brown, Marc-Alexandre Dumoulin, Melanie Ebenhoch, Johannes Gierlinger, Birke Gorm, Maureen Kaegi, Barbara Kapusta, Angelika Loderer, Nana Mandl, Matthias Noggler, Lukas Posch, Lucia Elena Průša, Rosa Rendl & Lonely Boys, Marina Sula, Philipp Timischl und Edin Zenun; kuratiert von Severin Dünser und Luisa Ziaja
Kunstraum Innsbruck, 4. Juli – 31. August 2019