Rita Vitorelli

»Volatile Color Rushes through Time«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

13. März — 21. April 2014

 

Schon von außen wirkt der Eingang zur Ausstellung verstellt: Eine Leinwand scheint quer im Eingangsbereich zu schweben. Um einzutreten, muss man dann relativ nah an einer Malerei vorbei, die sich daraufhin nicht als Barriere, sondern als Teil einer Serie entpuppt. Und zwar eines fünfteiligen Zyklus, dessen Bilder nicht wie gewöhnlich an der Wand hängen, sondern jeweils an der schmalen Seite an die Wand montiert wurden und so in den Raum hineinragen. Die Hängung verstärkt die Präsenz und die Materialität der Werke, während sich statt eines Nebeneinanders ein Nacheinander ergibt. Die feste Abfolge bildet eine Narration und bietet so einen ersten Anhaltspunkt dafür, dass ein Grundmotiv dieser Ausstellung die Zeit ist. 

Auch die Motive der Malereien selbst haben mit der Zeit zu tun: Rita Vitorelli hat nämlich eine Gemäldeserie des US-amerikanischen Landschaftsmalers Thomas Cole aus dem Jahr 1836, die mit The Course of Empire betitelt ist, als Ausgangspunkt gewählt. Die einzelnen Bilder heißen – man kann es auch an den Rückseiten der Leinwände ablesen – The Savage State, The Arcadian or Pastoral State, The Consummation of Empire, Destruction und Desolation und zeigen zwar eine definitiv amerikanische Landschaft, aber kein definitives Reich. Sie schildern mit einer klaren Narration in leicht variierenden Landschaftsausschnitten die Entwicklung einer Zivilisation von der Barbarei über die Blütezeit bis zur gewaltsamen Auflösung und zum damit einhergehenden Untergang und spielen auf die biologische Natur der Geschichte und die Vergänglichkeit ihrer Epochen an. Der Zyklus durchläuft dabei – man sieht es am Stand der Sonne – einen Tag. 

Vitorelli hat versucht, die Motive Coles in eine zeitgenössische Form zu übersetzen, und die im Original recht bunten Bilder in Vorarbeiten mehr und mehr reduziert. Schließlich hat sie die Entwürfe in einer Session auf die Leinwände übertragen. Es gab keine Korrekturen oder Nacharbeiten, dafür werden die Struktur des Bildes und das performative Moment der Malerei sichtbar in einem nachvollziehbaren zeitlichen Übereinander von Leinwand, Grundierung, Zeichnung und Farbe. Es geht also um einen Moment der Umsetzung, der relativ lang vorbereitet wird, aber trotzdem nicht Gefahr läuft, seine Leichtigkeit zu verlieren. Es handelt sich sicher nicht um leicht konsumierbare Malereien. Sie haben kein Zentrum und sind mehr um den Rand aufgebaut, verlieren dadurch eher an Spannung – aber entwickeln ihren Reiz in der Detailbetrachtung, die sie schon durch die Art ihrer Installation einfordern.

Ganz anders verhält es sich mit der Flut von Bildern, die am anderen Ende des Ausstellungsraums an die Wände projiziert wird. Es sind Bilder, die mit digitalen Werkzeugen hergestellt wurden. Nicht mit den besten High-End-Bildbearbeitungsprogrammen, sondern mit Low-Tech-Tools, die nicht viel mehr können, als Pixel aneinanderzureihen. Sie sind durch drei Arbeitsweisen entstanden: erstens das Schauen auf ein Motiv, während Vitorelli dabei nicht auf den Bildschirm sieht, oder zweitens das Betrachten der zeichnenden Hand, während das Motiv im Kopf und der Bildschirm umgedreht ist, oder drittens das Schauen auf den Bildschirm, während das Motiv im Kopf ist und die Handführung nur über den Screen ausgemacht werden kann. Was bei der klassischen Zeichnung also zusammenfällt – das gleichzeitige Sehen der Hand und der entstehenden Zeichnung und das abwechselnde Schauen auf ein Motiv – wird bei Vitorelli entkoppelt. Das Bildmaterial, das die Künstlerin schon seit Längerem produziert, wird dann noch auf verschiedenen Ebenen übereinandergelegt. Für die Präsentation in der Ausstellung hat sie die Zeichnungen dann noch zu einer Diashow zusammengestellt, die mit ihren amateurhaften Übergängen den karikatur­haften Charakter der Werke noch einmal unterstreicht und die traditionelle Hängung in eine Sequenz übersetzt mit all den Fragen von Rhythmik im Hinterkopf, die man sonst bei der installativen Hängung zu beachten versucht ist.

Im Tiefhof des 21er Haus finden sich Arbeiten, die Rita Vitorelli gemeinsam mit Dan Solbach als Plakatserie gestaltet hat. Das Prinzip des kalkulierten Zufalls kam auch hier zum Tragen, Solbach kombinierte verschiedene Zeichnungen zu jeweils einem Plakat, und die 27 daraus entstandenen ließ man wiederum von Plakatierern anordnen.

Dieses willkürliche Moment, das der Zirkulation von Bildern im Internet und unserem Umgang mit ihnen nicht unähnlich ist, unterläuft repräsentativ-individuelle malerische Gesten und ersetzt Autorschaft durch kreative Komplizenschaft, während trotzdem eine digitale Handschrift zu erkennen ist. Klassische Fragen der Malerei, wie solche nach dem Bildaufbau oder der Abbildhaftigkeit, sind sich hier gegenübergestellt. Trotzdem bleibt die Malerei der Ort der Orientierung, wenn die Frage aufkommt, wo es mit ihr hingeht, wenn das Bild inflationär und immateriell ist. Und so ist wohl auch The Course of Empire als Kommentar zum Stand der Dinge zu lesen: die Malerei als etwas Ruinen­haftes, aber im Rahmen eines sich immer wiederholenden Zyklus.

 

Rita Vitorelli wurde 1972 geboren, sie lebt und arbeitet in Wien und Berlin. Letzte Ausstellungen u. a.: Very abstract and really figurative, Galerie Emanuel Layr, Wien (2012); The Happy Fainting of Painting, Zwinger Galerie, Berlin (2012); Die/Der Würfel/Le Dé (III), COCO, Wien (2012).

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0