Philipp Timischl

»Philipp, ich hab das Gefühl, ich sehe wahnsinnig gut aus, aber ich hab nichts zu sagen«

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

28. August — 29. September 2013

 

„Philipp, ich hab das Gefühl, ich sehe wahnsinnig gut aus, aber ich hab nichts zu sagen“, räumt die Ausstellung ein. Sie präsentiert sich oberflächlich schön und beiläufig. Auf den ersten Blick bietet sich dem Betrachter ein recht unpersönlicher Anblick. Flatscreens sind im Raum angeordnet, auf ihnen läuft synchron ein Video. Das Display dieser Ausstellung kommt so generisch daher wie ein Elektroshop mit seinen simultanen Bildschirmalleen. Ein Thema, das Philipp Timischl bereits in früheren Arbeiten aufgegriffen hat. In der Ausstellung No interest, no aim, beyond nothing 2010 in Frankfurt beschäftigte er sich mit Allgemeingültigkeiten und Austauschbarkeiten, auch in Form einer Videoarbeit. 

Sie bestand aus „Establishing Shots“: Aufnahmen von Städtepanoramen, Slow-Motion-Naturaufnahmen oder Helikopterflügen über Wolkenkratzer, welche normalerweise zur räumlichen Kontextualisierung in einer filmischen Narration dienen. Da solche Aufnahmen aber am teuersten und zeitaufwändigsten zu produzieren sind, wird in vielen Fällen auf Stockvideos zurückgegriffen. Timischl isolierte diese aus der Reality-Dokumentation The Real L Word, bis nur noch eine handlungslose, austauschbare, hypnotische Collage aus Clips übrig blieb.

Das Video auf den Screens in dieser Ausstellung versucht nun, mit vergleichbaren Methoden, wie verwackelten Landschaftsaufnahmen, unfokussierten Detailaufnahmen oder überstrapazierten Jumpcuts, eine ähnliche Stimmung hervorzurufen, ist jedoch alles andere als anonym.

In 15 Minuten erzählt es mit schnellen Schnitten eine Urlaubsgeschichte. Ein Flugzeug startet, fliegt durch Wolken und landet. Timischl fährt mit dem Bus und trifft seinen verletzten Urlaubsflirt vor dem Krankenhaus wieder. Eine Bus- und Zugfahrt später: Aussicht von einer Terrasse. Beine baumeln in der Luft. Timischl fährt mit seinen Freunden zum Strand. Es wird gebadet und getaucht. Beim Abendessen wird über das Video und das Filmen geredet. Später wird die Kamera auf den Künstler gerichtet, er ist peinlich berührt und sagt nichts. Eine Freundin liest über die Geschichte einer Kirche. Autofahren, im Stau stehen und wieder mal: Strand. Es folgen Einstellungen vom Hafen und vom Abendessen. Ein Gespräch am Strand, ein nächtlicher Spaziergang, ein Stadtfest.

Dieses atmosphärisch dichte Video läuft synchron auf den Flatscreens, an denen mit Halterungen, die eigentlich für eine Wandmontage gedacht sind, flache Bildkörper angebracht sind, die einzelne Stills aus dem Video zeigen. Verfolgt man das Video, ergeben sich also für die Dauer eines Frames Dopplungen in den Skulpturen, die einzelne Aspekte der Narration hervorheben. Der Fokus des Betrachters wird damit gelenkt und gezielt unter die Oberflächlichkeit der Urlaubsimpression geführt.

Einer dieser Aspekte wäre das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben. Im Berufs­alltag des Künstlers, eines Role-Models zeitgenössischer Arbeits- und Lebens­konzepte, verlaufen diese Grenzen nicht nur fließend, sondern sie scheinen vollkommen ineinander verschränkt und austauschbar. Selbst Urlaub bedeutet Erholung und Tätigkeit zugleich und wird in diesem Fall anschließend auch noch künstlerisch verwertet.

Durch die Präsentation im Ausstellungsraum ergibt sich auch eine Vermischung von Privatem und Öffentlichem. Persönliche Momente, welche heute oft von vornherein für ein angenommenes, bisweilen anonymes Publikum dokumentiert werden, überhöht Timischl und fasst sie zu einer vermeintlich authentischen Minidoku zusammen. Die Privatheit erzeugt Nähe, die allerdings durch das Wissen aller Protagonisten um die Kraft der frei verkehrenden Bilder und die daraus resultierende Repräsentativität ihrer Handlungen gebrochen wird. Es entsteht mitunter der Eindruck einer „Scripted Reality“, einer Scheindokumentation, die einem Drehbuch folgt. Das Besondere, die Ausnahme, scheint jederzeit eintreten zu können, als ob das Alltägliche im Urlaub eine Fiktion wäre. Trotzdem sind die Aufnahmen so austauschbar wie die massenproduzierten Screens, auf denen sie laufen, wie eine Werbung, die versucht, mit emotionalen, verwackelten Aufnahmen Intimität und Glaubwürdigkeit zu vermitteln.

Mit dem Titel der Ausstellung distanziert sich der Künstler von den zuvor genannten Modellen. Es ist die Ausstellung an sich, die zu einer autonomen Person wird – besorgt darum, nicht zu genügen, nicht mehr zu bieten, nichts zu sagen.

 

Philipp Timischl, geboren 1989, lebt und arbeitet in Wien. 2012 gründete er gemeinsam mit Daphne Ahlers und Roland M. Gaberz den Ausstellungsraum HHDM (Hinter Haus des Meeres). Seine Arbeiten waren zuletzt u.a. bei Perfect Present, Kopenhagen (2013), Galerie Emanuel Layr, Wien (2013), StudioLenikus, Wien (2013), Kunst­raum Lakeside, Klagen­furt (2013), ONO Gallery, Oslo (2012), COCO, Wien (2012) und 68squaremeters, Kopen­hagen (2011) zu sehen.

 

Katalog zur Ausstellung:
21er Raum 2012 – 2016
Herausgegeben von Agnes Husslein-Arco und Severin Dünser
Mit Texten von Severin Dünser, Simon Dybbroe Møller, Paul Feigelfeld, Agnes Husslein-Arco, Lili Reynaud-Dewar und Luisa Ziaja über Ausstellungen von Anna-Sophie Berger, Andy Boot, Vittorio Brodmann, Andy Coolquitt, Simon Dybbroe Møller, Iman Issa, Barbara Kapusta, Susanne Kriemann, Adriana Lara, Till Megerle, Adrien Missika, Noële Ody, Sarah Ortmeyer, Mathias Pöschl, Rosa Rendl, Lili Reynaud-Dewar, Anja Ronacher, Constanze Schweiger, Zin Taylor, Philipp Timischl, Rita Vitorelli und Salvatore Viviano
Grafikdesign von Atelier Liska Wesle, Wien/Berlin
Deutsch/Englisch
Softcover, 21 × 29,7 cm, 272 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2016
ISBN 978-3-903114-18-0