Montag, 02 Juli 2018 07:20

»Instructions for Happiness«

 

Anna-Sophie Berger, Keren Cytter, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Barbara Kapusta, Rallou Panagiotou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Socratis Socratous, Jannis Varelas, Salvatore Viviano, Anna Witt; kuratiert von Severin Dünser und Olympia Tzortzi

 

21er Haus, Wien

8. Juli – 5. November 2017

 

Glücklichsein zählt zu den grundlegenden menschlichen Empfindungen und wir streben wohl alle danach, diesen Zustand auf die eine oder andere Art zu erreichen. Und um das persönliche Streben nach Glück geht es auch in dieser Ausstellung. Aber Anleitungen zum Glücklichsein? Da Glücklichsein eine sehr individuelle Angelegenheit ist, sind Anleitungen um dem Glück näher zu kommen natürlich eine recht absurde Versprechung. Trotzdem versucht die Ausstellung, sich dem Phänomen aus verschiedenen Perspektiven anzunähern.
Abgesehen davon, dass die Menschen schon immer versucht haben herauszufinden was glücklich macht und wann man sich selbst einen glücklichen Menschen nennen kann, gibt es nicht nur heute eine Fülle von Lebensratgeberliteratur, sondern gab es schon im Altertum immer wieder Anleitungen zum Glücklichsein. Natürlich waren sie mehr philosophischer Natur. Platon rät die drei Seelenteile Vernunft, Willen und Begehren nicht in Widerspruch kommen zu lassen und sie in Balance zueinander zu halten, um glücklich zu sein. Die Selbstverwirklichung ist laut Aristoteles eng verknüpft mit dem Glücklichsein, da man glücklich ist, wenn man gut ist in dem, was man sich zur Aufgabe gemacht hat und damit sowohl einen Platz in der Gesellschaft einnimmt als auch etwas zu ihr beiträgt. Für Epikur ist das persönliche Glück abhängig von strategisch eingesetztem Verzicht – um dann umso glücklicher zu sein, wenn man seinen Lüsten nachgeht, aber nicht abgestumpft zu werden von zu Vielem, das über die Grundbedürfnisse hinausgeht. Das Pflegen von zwischenmenschlichen Beziehungen etwa zählt er dazu. »Verschwende nicht was du im Moment hast mit den Gedanken an das, was du haben könntest. Sei Dir bewusst, dass das was du jetzt hast, ein Teil von den vielen Dingen ist, die du zu haben oder zu erreichen erträumt hast«, gibt Epikur mit auf den Weg. »Lerne still zu sein, lasse deinen Geist ruhen um zu hören und zu absorbieren« meinte Pythagoras, der auch zitiert wird mit »Je mehr aber unser Geist versteht, desto seliger sind wir.«
»Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied«, sagt der Volksmund. Es ist von Mensch zu Mensch verschieden was glücklich macht - alle haben wir individuelle Bedürfnisse, und deren Erfüllung muss dementsprechend auch von allen selbst in die Hand genommen werden. Unabhängig davon, ob die Erfüllung im Zwischenmenschlichen, Unmittelbaren oder Alltäglichen bzw. in der Schönheit der kleinen Dinge im Leben gesucht wird, versucht die Ausstellung die Vorstellungen vom Glücklichsein zu hinterfragen.
In der Arbeit von Anna-Sophie Berger etwa wird dazu aufgefordert, ein Kartenhaus zu bauen und es dann wieder einstürzen zu lassen – Präzises, konzentriertes Arbeiten auf ein Ziel hin, und die Freiheit das Produkt des eigenen Schaffens wieder hinter sich zu lassen. In Keren Cytters Videoinstallation spiegelt man sich selbst beim Anschauen einer Geschichte rund um eine Familie, Liebhaber, ein Strandhaus und einen einsamen Jungen, während man langsam von einer ruhigen Stimme in einen meditativen Gemütszustand gezogen wird. Heinrich Dunst stellt Fragen nach dem Status. »Nicht Worte« steht auf einem Bild, wurde aber durchgestrichten, darunter: »Dinge«. Eine doppelte Verneinung? Also doch Worte, als auch Dinge? Darunter jedenfalls liegt ein Fußabstreifer im Mondrian-Design, bei dem ebenfalls unklar ist ob er einfach ein Ding ist, ein bildhaftes Ding, oder ein dinghaftes Abbild eines Bildes. Auf Simon Dybbroe Møllers Fotografie ist eine Umarmung zwischen einem Koch und einem Installateur zu sehen. Geht es hier um Zwischenmenschliches? Eher um Körperliches: um Essen und Verdauen, um »Basics«, sozusagen. Christian Falsnaes’ Soundinstallation gibt Anweisungen für einfache Handlungen zwischen den Besuchern, bei denen soziale Konventionen spielend überschritten werden und die dabei sichtlich Freude bereiten. Barbara Kapusta dagegen lädt dazu ein, aus Modellierton Tassen und Schalen herzustellen – mit dem eigenen Körper also Trinkgefäße zu formen, die Grundbedürfnisse stillen. Rallou Panagiotou kombiniert unpersönliche Koffer mit Nachbildungen von Dingen aus glücklichen Erinnerungen – etwa das Paar Sandalen das in den 1990er Jahren an einem Strand verloren ging oder die vermeintliche Maske einer Medusa die im Sommerhaus der Großmutter hing. Nach dem Motto »sharing is caring« offeriert uns Angelo Plessas einen Speicherstick mit Daten zum Überspielen auf das eigene Gerät. Darauf finden sich jede Menge Selbsthilfebücher, Meditationsmusik, Ratgeber für das Liebesleben und Spiritualität – es scheint für alle möglichen Lebenslagen etwas dabei zu sein. Jannis Varelas gibt uns die Anweisung, den Ausstellungsraum zu verlassen und beim Spazieren durch die Stadt doch noch einmal darüber nachzudenken, ob man seine Aufmerksamkeit nicht doch noch einmal der Kunst widmen soll. Salvatore Viviano bittet darüber nachzudenken wie einsam man ist, während man Elvis Presley zuhört, wie er beim Singen von »Are you lonesome tonight« immer wieder zu lachen beginnt. Maruša Sagadins Skulpturenensemble lädt ein zur Reflexion des Lebens im öffentlichen Raum – einerseits hinterfragt sie die regenerativen Möglichkeiten im urbanen Bereich, andererseits die Funktion des Schminkens und die damit verbundenen formelhaften Konventionen der Repräsentation des Selbst: Wenn der Lippenstift ein Gebäude ist, ist mein Gesicht dann eine Fassade? Eine andere Frage stellt sich Hans Schabus mit seiner Plastik: Wenn das Glück ein Vogerl ist, ist es dann flüchtig? Und wenn ja, sollte man ihm dann nicht besser ein Häuschen bauen? Auch Socratis Socratous’ Skulpturen handeln von Zufluchtsorten. Kleine Inseln mit Pollern deuten Anlegestellen an. Sie bestehen zum Teil aus eingeschmolzenem Kriegsmaterial aus Konfliktgebieten. Es geht um Migration übers Meer und sichere Häfen, die man zu erreichen hofft. Anna Witt lässt in ihrer Videoinstallation schließlich eine Gruppe sechzig Minuten lang lächeln. In ihrem Werk geht es um die Kommerzialisierung von Emotionen, den Ausverkauf der eigenen Gefühle, der im Video zu einer Belastungsprobe wird.
Die Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung fordern mit ihren Arbeiten also dazu auf Handlungsanweisungen zu befolgen, auf hergestellte Situationen zu reagieren, Gegenstände zu benutzen, mit anderen zu interagieren, bzw. stoßen Denkprozesse zum Thema an. Die formal und inhaltlich sehr unterschiedlichen Positionen spiegeln die Vielfalt der Perspektiven wider, die die Künstlerinnen und Künstler – wie die Gesellschaft im Allgemeinen – auf das Glücklichsein haben.
Walter Benjamin schrieb »Glücklich sein heißt, ohne Schrecken seiner selbst inne sein zu können.« In diesem Sinne laden wir ein, sich ohne Vorbehalt auf die Arbeiten einzulassen und die Erfahrung aus den verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen Glücklichsein zur Reflexion zu nutzen. Zumal die eigene Erfülltheit auch damit zusammenhängt, seine Bedürfnisse und das damit verbundene Handeln zu reflektieren und so ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben zu führen – also die Lebenskunst im philosophischen Sinn zu beherrschen. Denn, um mit einem Zitat des Soziologen Gerhard Schulze zu schließen: »Wofür lebt man, wenn nicht für das schöne Leben?«

 

Katalog zur Ausstellung:
Instructions for Happiness
Herausgegeben von Stella Rollig, Severin Dünser und Olympia Tzortzi
Mit Texten von Anna Sophie Berger, Keren Cytter, Severin Dünser & Olympia Tzortzi, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller & Post Brothers, Christian Falsnaes, Barbara Kapusta, Rallou Panagiotou, Angelo Plessas, Stella Rollig, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Socratis Socratous, Jannis Varelas, Salvatore Viviano und Anna Witt
Grafikdesign von Alexander Nußbaumer
Fotografien von Thomas Albdorf
Deutsch/Englisch
Hardcover, 22,5 × 16 cm, 128 Seiten, zahlreiche Abbildungen in Farbe
Belvedere, Wien, 2017
ISBN 978-3-903114-41-8

Freigegeben in Ausstellungsdetails
Mittwoch, 04 Januar 2017 18:25

»Instructions for Happiness«

 

Mit Arbeiten von Anna Sophie Berger, Liudvikas Buklys, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Benjamin Hirte, Barbara Kapusta, Stelios Karamanolis, Alexandra Kostakis, Adriana Lara, Lara Nasser, Rallou Panagiotou, Natasha Papadopoulou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Björn Segschneider, Socratis Socratous, Misha Stroj, Stefania Strouza, Jannis Varelas, Kostis Velonis und Salvatore Viviano; kuratiert von Severin Dünser und Olympia Tzortzi 

 

Lekka 23 – 25 & Perikleous 34, Athen

21. — 30. Dezember 2016

 

Glücklichsein kann als menschliches Grundbedürfnis verstanden werden. Und um das persönliche Streben nach Glück geht es in dieser Ausstellung. Aber Anleitungen zum Glücklichsein? Da Glücklichsein eine sehr individuelle Angelegenheit ist, sind Anleitungen um dem Glück näher zu kommen natürlich eine recht absurde Versprechung. Unabhängig davon, ob das Glück im Zwischenmenschlichen, Unmittelbaren oder Alltäglichen bzw. in der Schönheit der kleinen Dinge im Leben gesucht wird, versucht die Ausstellung die Vorstellungen von Glück zu hinterfragen.

Eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern wurde eingeladen, eine Arbeit zur Ausstellung beizutragen. Die Anfrage war, ein Werk zu konzipieren, das ausgehend von einer Handlungsanweisung dazu auffordert etwas zu tun, also z.B. Gegenstände zu benutzen, auf hergestellte Situationen zu reagieren, mit anderen nach gewissen Regeln zu interagieren, für andere bzw. sich selbst zu performen oder auch einfach nur Denkprozesse zum Thema anzustoßen. Die Form für das Werk wurde dabei offen gelassen – und so sind die Arbeiten in der Ausstellung auch so unterschiedlich und formal divergent geworden wie die medialen Möglichkeiten. Aber die scheinbar chaotische Verschiedenheit spiegelt eben auch die Vielfalt der Perspektiven wider, die die Künstler (wie auch die Gesellschaft) auf das Glücklichsein haben.

Abgesehen von der Frage nach dem Glücklichsein im Kontext von Athen, versucht die Ausstellung auch darüber zu reflektieren, welche Möglichkeiten unmittelbarer Auswirkungen die Kunst auf die Gesellschaft haben kann. Es kann durchaus hinterfragt werden, wo die Grenzen der Kraft des ästhetischen Felds liegen, während man beim Erleben der Werke den Vorstellungen vom Glück nachgehen kann um vielleicht auch Antworten für sich selbst zu finden.

 

Mit freundlicher Unterstützung durch das Bundeskanzleramt Österreich, NON SPACES und KUP

 

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»Instructions for Happiness«

 

Συμμετέχουν: Anna Sophie Berger, Liudvikas Buklys, Heinrich Dunst, Simon Dybbroe Møller, Christian Falsnaes, Benjamin Hirte, Barbara Kapusta, Stelios Karamanolis, Alexandra Kostakis, Adriana Lara, Lara Nasser, Rallou Panagiotou, Natasha Papadopoulou, Angelo Plessas, Maruša Sagadin, Hans Schabus, Björn Segschneider, Socratis Socratous, Misha Stroj, Stefania Strouza, Jannis Varelas, Kostis Velonis, Salvatore Viviano

Υπό την επιμέλεια: Severin Dünser, Olympia Tzortzi

 

Λέκκα 23 – 25 & Περικλέους 34, Αθήνα

21.12. — 30.12.2016

 

Η ευτυχία μπορεί να κατανοηθεί ως μια από τις βασικές ανάγκες του ανθρώπου. Ο Freud έλεγε ότι σκοπός της ζωής είναι η επίτευξη και η διατήρηση της ευτυχίας – και στην αναζήτησή της επιδίδεται η έκθεση με τίτλο «Instructions for Happiness». Αλλά είναι δυνατό να υφίστανται οδηγίες;

Μια σειρά από Έλληνες και διεθνείς καλλιτέχνες έχουν κληθεί να καταθέσουν την δική τους εικαστική απάντηση σχετικά με την κατάκτηση της ευτυχίας η οποία, στον βαθμό ασφαλώς που είναι για τον καθένα υποκειμενική, δεν μπορεί παρά να καθορίζει και τις «απαντήσεις» ως αυστηρά προσωπικές. Υπό αυτήν την οπτική, όλα τα εκθέματα απηχούν διαφορετικές προσεγγίσεις ως προς την μορφή αλλά και ως προς τους «κανόνες» που θα πρέπει κανείς να εφαρμόσει (ή και να απορρίψει) προκειμένου να εκπληρώσει, έστω και πρόσκαιρα, το πολυπόθητο αποτέλεσμα και, πάντως, όλα αυτοσκηνοθετούνται ως «οδηγίες προς απόκτηση ευτυχίας». Συγχρόνως, όμως, τα έργα δεν λησμονούν ότι η ευτυχία είναι ατομική υπόθεση, ότι ουσιαστικά κάθε υπόδειξη πραγμάτωσής της συνιστά ανεδαφική ή ουτοπική υπόσχεση. Εντούτοις δεν παραιτούνται. Κι έτσι καταφέρουν να στρέψουν την προσοχή στα μικρά αντικείμενα της ζωής και να αναδείξουν, με απρόσμενο τρόπο, την ομορφιά τους (ιδού μια στιγμή ευτυχίας!) – ή εφιστούν τη προσοχή στην «ευτυχή συγκυρία» ή και στην ευδαιμονία που μπορεί, φέρ’ ειπείν, να πηγάζει από άγνοια ή παραγνώριση της πραγματικότητας ή και από τη ζωηρή φαντασία ακόμη.

Προπάντων, όλα τα έργα της έκθεσης αμφισβητούν τις παγιωμένες αντιλήψεις για το τι είναι ευτυχία και θέτουν το ερώτημα του κατά πόσο η ίδια η τέχνη μπορεί να αποβεί «πρόξενος ευτυχίας», όχι απλώς ωραιοποιώντας αλλά ενεργά μεταμορφώνοντας τον γύρω μας κόσμο. Και εντέλει θέτουν το ερώτημα των ερωτημάτων: μήπως η ευτυχία προϋποθέτει πάντοτε την ευτυχία του άλλου, δηλαδή, θα πρέπει επιτακτικά να εννοηθεί σε ένα πολιτικό πλαίσιο;

Freigegeben in Ausstellungsdetails
Mittwoch, 04 Januar 2017 18:00

»Das Gestische«

 

Thomas Bayrle, Andy Boot, Christian Falsnaes, Roy Lichtenstein, Klaus Mosettig, Laura Owens, Markus Prachensky, Roman Signer

 

21er Raum im 21er Haus, Wien

8. September — 20. November 2016

 

Malerei ist das Auftragen von Farbe auf eine Fläche. Pinselstriche sind die Elemente, aus denen sich ein Bild ergibt. Und um diese Einzelteile, aus denen sich über den Prozess des Malens etwas zusammensetzt, dreht sich diese Ausstellung.

Ausgehend von einer aktuellen Schenkung an das Belvedere – der Malerei Rouges différents sur noir – Liechtenstein von Markus Prachensky – werden Aspekte rund um den Duktus und das Wesen des Gestischen diskutiert. Prachensky hat das Bild 1956/57 geschaffen. Es ist nach der Liechtensteinstraße benannt, wo es in einem gemeinsam mit Wolfgang Hollegha genutzten Atelier entstanden ist (im Übrigen war das auch der Ort, an dem die beiden 1956 gemeinsam mit Josef Mikl und Arnulf Rainer die Gründung der Künstlergruppe „Galerie St. Stephan“ beschlossen). Das Gemälde stammt aus einer ersten Serie von Bildern, in der Prachensky mit roter Farbe auf schwarzem Grund malte – wobei die Farbe Rot zu einem wiederkehrenden Element und zu so etwas wie einem Charakteristikum in folgenden Arbeiten wurde. Das Werk Prachenskys ist ganz dem Informel verpflichtet. Das Informel, das sich Ende der 1940er-Jahre von Paris ausgehend seinen Weg nach Wien bahnte, entwickelte sich als Reaktion auf die geometrische Abstraktion. Mit ihr teilte es eine Ablehnung klassischer Kompositionskonzepte, aber forderte im Gegensatz Formlosigkeit und Spontaneität. So geht es Prachensky vordergründig um das Nachvollziehen eines gestischen Impulses, um die auf die Leinwand übertragene Energie.

Was Prachensky in seinem Bild hervorhebt, ist also das prozessuale Moment in der Bildproduktion –mit all seinen Implikationen des unmittelbaren persönlichen Ausdrucks und Spekulationen rund um diese Spuren des Unbewussten. Diese Gesten sind auf dem monochromen Hintergrund klar nachvollziehbar und treten zu diesem in einen starken Kontrast. Sie werden durch ihre Isolation auch selbst zu einem Zeichen, zu einem wiedererkennbaren Symbol der Geste. Ebendieses Zeichen greift Roy Lichtenstein in der Serie der Brushstrokes auf, die zwischen 1965 und 1968 entstanden ist. Darin setzt Lichtenstein einzelne und einander überlagernde Pinselstriche im für ihn typischen Comic-Stil um – ironischerweise mit Öl auf Leinwand, während er auf den Abstrakten Expressionismus Bezug nehmend das spontane Moment gewissermaßen karikiert. Im Fall von Little Big Painting Reproduction wurde die Edition auch noch in eine Chromografie übersetzt. Die industrielle Vervielfältigung führt die Einzigartigkeit von Malerei und persönlichem Ausdruck zusätzlich ad absurdum.

Thomas Bayrle arbeitet mit Reproduktionen und Wiederholungen von Formen, die sich häufig – ähnlich der Pop Art – auf Objekte aus der Konsumkultur beziehen und durchaus gesellschaftskritisch gelesen werden können. Einzelne Bildelemente werden bei ihm durch mechanische und digitale Manipulation verzerrt. Aus ihnen ergeben sich systematische Strukturen, die oft ihre Bestandteile widerspiegeln und so auf die dahinterliegende Logik des Bildermachens verweisen. Für Variationen eines Pinselstrichs hat Bayrle 1989 den Pinselstrich als Ausgangsmotiv genommen. Er hat ihn in unterschiedlichen Verformungen zu einer die Bildfläche füllenden Collage arrangiert, die als Metamalerei die Authentizität des Ausdrucks durch dessen mechanische Wiederholung infrage stellt.

Klaus Mosettig übersetzt seit 2007 Arbeiten anderer Künstler in Zeichnungen. Dafür projiziert er die Werke auf Papier und zeichnet sie in monatelanger Kleinarbeit in unterschiedlichen Grautönen nach, wie man sie aus Druckverfahren kennt. Trotz des aufwendigen Prozesses per Hand hinterlässt Mosettig keine ihm zuordenbare Handschrift. Und dennoch entwickeln seine Arbeiten eine künstlerische Autonomie vom Original. Das hängt auch mit der Zeit zusammen, die er in seine Werke investiert und die bei genauer Betrachtung nachvollziehbar wird. Die Vorlage für Informel 2 war eine Kinderzeichnung. In Analogie zur im Werktitel genannten Kunstrichtung handelt es sich bei der Kinderzeichnung um den Versuch eines unmittelbaren Ausdrucks, um das experimentelle Finden einer persönlichen Bildsprache. Die Rezeption dieser kleinen Geste verändert Mosettig, indem er sie sich aneignet, mit dem Bleistift kopiert und vergrößert.

Roman Signer ist für seine Aktionen bekannt, versteht sich aber als Bildhauer, der Faktoren wie Zeitlichkeit, Beschleunigung und transformative Prozesse auf seine Arbeiten einwirken lässt. Feuerwerkskörper etwa sind ein wiederkehrendes Element in seinem Œuvre, so auch in dem Video Punkt von 2006. Signer nimmt darin vor einer auf einer Wiese aufgestellten Staffelei Platz, taucht einen Pinsel in Farbe und hält ihn vor die Leinwand. Hinter ihm explodiert kurz darauf eine Box – der Künstler erschrickt und setzt dadurch einen Punkt auf die Malfläche. Signers Ergebnis einer gezielten Schreckreaktion entspricht fast buchstäblich der auf die Leinwand übertragenen Energie, wie sie im Informel zur Geltung kommt. Nur dass Signer den Prozess des gestischen Malens überzeichnet, um zu einem für ihn authentischen Ausdruck zu finden. 

Andy Boot hat sich schon in früheren Arbeiten mit expressiver Gestik auseinandergesetzt: etwa in der Arbeit e who remained was M, die sich in der Sammlung des Belvedere befindet. Boot lässt in Farbe getauchte Nudeln auf die auf dem Boden liegende Leinwand fallen. Daraus ergibt sich ein neo-abstrakt-expressionistisches Muster, das das gestische Moment ob seiner Absurdität zum Ornament degradiert und dabei das Prozessuale als Illusionismus karikiert. Die Arbeit Untitled (light blue) von 2012 hingegen gibt sich ohne Ironie der Gestik hin. Ein hellblaues Band aus der rhythmischen Sportgymnastik hat er in einem Rahmen drapiert und diesen dann mit Wachs ausgegossen. Aus einem Sportgerät, das Bewegung sichtbar macht, fertigt er also etwas, das an eine abstrakte Komposition erinnert – eine Metamalerei, die auf das Gestische in der Malerei verweist, ohne selbst gemalt zu sein. 

Laura Owens ist als Malerin dafür bekannt, gleichermaßen abstrakt und figurativ, sowohl medienübergreifend und -überlagernd als auch mit einer Vielzahl von Referenzen aus Kunstgeschichte, Populär- und Volkskultur zu arbeiten. Kleine Aspekte und Details macht sie oft zu den Zentren ihrer Bilder, wenn sie neue Techniken ausprobiert und dadurch wieder einmal den Stil wechselt. Der Pinselstrich als dekoratives Element und Zeichen tauchte in den letzten Jahren vermehrt in ihren Werken auf, und auch bei Ohne Titel (Clock Painting) von 2013 scheut sie die Nähe zum Dekorativen nicht. In das Gemälde ist ein Uhrwerk eingebaut, ein Zeiger wandert über das Bild. Was in der Malerei steckt, steckt sprachlich auch in der Uhr: Der Zeiger wird im Englischen nämlich mit „hand“ bezeichnet, der Stundenschlag mit „stroke“. So kann der Zeiger durchaus buchstäblich als Metapher für die Hand gelesen werden, der sich beim Malen über die Leinwand bewegt und dabei die Form eines Striches hat, während Owens gleichermaßen auf die Zeit als Faktor in der Bildproduktion anspielt.

Christian Falsnaes’ bevorzugtes Medium ist die Performance. Er arbeitet dabei mit vorgefertigten Skripts denen er mehr oder weniger folgt, und motiviert das Publikum, sich zu involvieren. Es geht ihm um ein Erlebbarmachen von gruppendynamischen Prozessen, aber ebenso um das Bewusstmachen von Ritualen und Verhaltensnormen – im Speziellen auch in der Kunstwelt. Für die Ausstellung erarbeitete Falsnaes eine neue Variation des Stücks Existing Things, in dem das Publikum unter anderem gemeinsam ein Bild malt – mit einem Performer als Pinsel. Mit der Aktion wird individuelle Autorschaft geradezu aufgelöst in einem kollektiven Prozess, von dem dann bunte Pinselstriche in der Ausstellung nachvollziehbar bleiben.

Generell steht der Pinselstrich als eigenständiges Zeichen metaphorisch für die Kunst selbst und lässt sich im zeitgenössischen Kontext vor allem als kritische Anspielung auf den damit verbundenen Künstlermythos lesen. Die Ausstellung zeigt auf, wie sich der Blick auf individuelle Autorschaft, künstlerische Authentizität und Originalität verändert hat. An diesen Kategorien, unter deren Bedingungen wir Kunst wahrnehmen und reflektieren, scheint ein unverändertes Interesse zu bestehen. Allerdings hat sich durch die Möglichkeiten technischer Reproduktion und Medialisierung die Haltung gegenüber dem Wesen des Gestischen in der Malerei gewandelt. Der gestische Ausdruck erhält heute wieder vermehrt Aufmerksamkeit, da er Qualitäten in sich vereint, die der Digitalisierung unseres Alltags etwas Unmittelbares, ja erfrischend Körperliches entgegenhalten.

Freigegeben in Ausstellungsdetails
Sonntag, 27 April 2014 00:00

»Grundfrage«

 

CRAC Alsace, Altkirch

17. Februar — 5. Mai 2013

 

Nils Bech, Carina Brandes, Christian Falsnaes, Jos de Gruyter & Harald Thys, Florian Hecker, Oscar Murillo, Noële Ody, Max Peintner, Jean-Michel Wicker + »Legs in the Morning« von Geta Brătescu, ein Konzert von Koudlam, ein Vortrag von Colin de Land (1992), »Der Duft der verblühenden Alpenrose« von Martin Walde, Schorsch Böhme, Guillaume Barth eingeladen vom CRAC Team; kuratiert von Severin Dünser und Christian Kobald

 

Für »Grundfrage« wird das CRAC Alsace zu einer riesigen Bühne, die Kunst und Nichtkunst präsentiert, stark zeitbasiert, ein gestreutes Gesamtkunstwerk – eine Neo-90er-Ausstellung. Es ist eine thematische Gruppenausstellung, aber das Thema wird dem Besucher nicht mitgeteilt, sondern nur an die Künstler kommuniziert (um Didaktik zu vermeiden). Auf indirekte Weise beschäftigen sich die Arbeiten mit                                                                                     . Kunsthistorisch könnte man es mit der Symbolik des klassischen Stilllebens vergleichen, auf einer alltäglichen Ebene mit den Überresten einer Party.

Freigegeben in Ausstellungsdetails